Röntgenblick durch das Wasserfenster
ETH Zurich/D-PHYS Keller group
ETH Zurich/D-PHYS Keller group
Als vor rund 20 Jahren erstmals Lichtpulse mit einer Dauer von weniger als einer Femtosekunde erzeugt wurden, war dies der Geburtsmoment eines neuen Forschungsgebiets: Attosekunden-Wissenschaft und -Technologie. In der Folge wurden kompakte Lasersysteme entwickelt, die Studien ermöglichen, die jahrzehntelang nur ein entfernter Traum waren: elektronische Prozesse in Atomen, Molekülen und Festkörpern konnten nun auf ihrer natürlichen Attosekunden-Zeitskala verfolgt, abgebildet und charakterisiert werden. Die Lasersysteme, die solche Untersuchungen ermöglichen, arbeiten typischerweise im Spektralband der extrem ultravioletten Strahlung. Es gibt jedoch seit Langem Bestrebungen, höhere Photonenenergien zu erreichen. Von besonderem Interesse ist das «Wasserfenster», das weiche Röntgenstrahlung mit Wellenlängen zwischen 2,2 und 4,4 nm umfasst. Dieses Spektralfenster verdankt seinen Namen und seine Bedeutung der Tatsache, dass Photonen bei diesen Frequenzen zwar nicht von Sauerstoff (und damit von Wasser) absorbiert werden, aber wohl von Kohlenstoff. Dies ist ideal für die Untersuchung organischer Moleküle und biologischer Proben in ihrer natürlichen wässrigen Umgebung. Heutzutage gibt es zwar eine Handvoll an Attosekundenquellen, die diesen Frequenzbereich abdecken. Deren Anwendbarkeit aber ist durch relativ niedrige Wiederholungsraten von 1 kHz oder weniger begrenzt, was wiederum niedrige Zählraten und schlechte Signal-Rausch-Verhältnisse bedeutet. Justinas Pupeikis und Kollegen aus der Gruppe von Professor Ursula Keller am Institut für Quantenelektronik berichten nun in der Fachzeitschrift Optica über einen wesentlichen Schritt, um diese Grenzen zu überwinden. Sie präsentieren die erste Röntgenquelle, die das gesamte Wasserfenster mit einer Wiederholungsrate von 100 kHz abdeckt – eine Verbesserung um zwei Grössenordnungen im Vergleich zu bisherigen Quellen.
Ein Sprung in der technologischen Leistungsfähigkeit
Der Engpass bei der Erzeugung weicher Röntgenstrahlen mit hohen Wiederholungsraten war, dass es keine geeigneten Lasersysteme gar, um den Schlüsselprozess für die Erzeugung von Attosekundenpulsen in solchen Systemen mit genügend schneller Kadenz voranzutreiben. Dieser Prozess ist als Erzeugung hoher Harmonischer (engl. high harmonic generation) bekannt und umfasst einen intensiven Femtosekundenlaserpuls, der mit einem Target, typischerweise einem Atomgas, interagiert. Die nichtlineare elektronische Antwort des Targets bewirkt dann die Emission von Attosekundenpulsen mit einem Vielfachen ungerader Ordnung der Frequenz des treibenden Laserfeldes. Um sicherzustellen, dass diese Antwort Röntgenphotonen enthält, die sich über das gesamte Wasserfenster erstrecken, muss die Femtosekundenquelle im mittleren Infrarotbereich arbeiten. Ausserdem muss es Pulse mit hoher Spitzenleistung liefern. Und das alles bei hohen Wiederholungsraten. Eine solche Quelle gab es bisher nicht.
Pupeikis et al. stellten sich der Herausforderung und verbesserten systematisch ein Layout, das sie bereits in früheren Arbeiten untersucht hatten, basierend auf optisch-parametrischer Verstärkung gechirpter Pulse (engl. optical parametric chirped pulse amplification, OPCPA). Sie hatten gezeigt, dass der Ansatz im Hinblick auf die Realisierung von Hochleistungsquellen im mittleren Infrarot vielversprechend ist, aber es waren noch erhebliche Verbesserungen erforderlich, um jene Leistung zu erreichen, die für die Erzeugung von Röntgenphotonen im Wasserfenster erforderlich ist. Insbesondere haben sie die Spitzenleistung von zuvor 6,3 GW auf 14,2 GW erhöht, für Impulse, die nur etwas länger als zwei Schwingungen des zugrunde liegenden optischen Feldes sind (16,5 fs) und eine durchschnittliche Leistung von 25 W haben. Die erreichte Spitzenleistung ist mit Abstand die höchste, die bisher für ein System mit hoher Wiederholungsrate und einer Wellenlänge über 2 μm veröffentlicht wurde.
Auf in den Röntgenraum
Mit diesen Verbesserungen der Infrarotquelle war das Team bereit für die nächste Stufe, die Frequenzumwandlung durch Erzeugung hoher Harmonischer. Zu diesem Zweck wurde der Ausgangsstrahl des OPCPA über ein Periskopsystem zu einem anderen Labor in mehr als 15 m Entfernung geleitet, was wegen des begrenzten Raums im Labor notwendig war. Dort traf der Strahl auf ein Heliumtarget, das auf einem Druck von 45 bar gehalten wurde. Ein derart hoher Druck war für die Phasenanpassung zwischen Infrarot- und Röntgenstrahlung und damit für eine optimale Energieumwandlungseffizienz erforderlich.
Alle sorgfältig abgestimmten Teile spielten ideal zusammen. Das System erzeugte kohärente weiche Röntgenstrahlung, die sich bis zu einer Energie von 620 eV (2 nm Wellenlänge) erstreckte und damit das gesamte Wasserfenster abdeckte – eine herausragende Leistung im Vergleich zu anderen Quellen mit hohen Wiederholungsraten in diesem Frequenzbereich.
Ein grosser Spielraum
Diese Resultate eröffnen ein breites Spektrum an neuen Möglichkeiten. Kohärente Bildgebung im Spektralbereich des Wasserfensters, das für Chemie und Biologie von solch hoher Relevanz ist, sollte mit einem kompakten Aufbau möglich sein. Gleichzeitig hilft die nun verfügbare hohe Wiederholungsrate beispielsweise dabei, die Einschränkungen aufgrund der Raumladungsbildung zu beseitigen, die Photoemissionsexperimente mit gepulsten Quellen plagen. Darüber hinaus umfasst das «Wasserfenster» nicht nur die K-Absorptionskanten von Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff, sondern auch die L- und M-Absorptionskanten einer Reihe von Metallen, die nun mit höherer Empfindlichkeit oder Spezifität untersucht werden können.
Mit solch guten Aussichten läutet die Realisierung der nun vorgestellten Laserquelle den Beginn der nächsten Generation von Attosekunden-Technologie ein, bei der Forscher zum ersten Mal hohe Photonenenergien kombiniert mit hohen Wiederholungsraten nutzen können. Derzeit wird im Keller-Labor eine Attosekunden-Strahllinie gebaut, um ebendiese neuen Möglichkeiten zu erkunden.