Induzierte pluripotente Stammzellen verraten Krankheitsursachen
Mit Einzelzell-Analysen suchten Forscher in induzierten pluripotenten Stammzellen systematisch nach Zusammenhängen zwischen einzelnen Erbgutvarianten
© Tobias Wüstefeld / EMBL
Im menschlichen Erbgut sind bis heute Zehntausende von winzigen Bauplan-Abweichungen (SNPs, single nuceotide polymorphisms) identifiziert, die mit bestimmten Erkrankungen im Zusammenhang stehen. Viele dieser genetischen Varianten liegen nicht in den proteinkodierenden Bereichen der Gene, sondern betreffen regulatorische Abschnitte des Erbguts. Deshalb suchen Wissenschaftler, ob und in welchen Geweben diese Mini-Varianten mit Veränderungen in der Aktivität bestimmter Gene in Verbindung gebracht werden können.
Üblicherweise werden solche Analysen – je nach Art der Erkrankung – an Blutzellen oder an Gewebebiopsien durchgeführt. „Pluripotente Stammzellen könnten aber in vielen Fällen besser dafür geeignet sein, da sie undifferenziert sind und quasi den Ursprungszustand aller Zellen wiederspiegeln", sagt Oliver Stegle, Abteilungsleiter am Deutschen Krebsforschungszentrum und Gruppenleiter am EMBL. „Stammzellen könnten besonders relevant sein, wenn nach der Ursache von Erkrankungen gesucht wird, die bereits früh in der Entwicklung auftreten." Pluripotente Stammzellen lassen sich in der Kulturschale aus normalen Körperzellen generieren, die beispielsweise aus einer Blutprobe gewonnen werden. Da es sich dabei nicht um natürlich vorliegende Stammzellen handelt, spricht man von „induzierten pluripotenten Stammzellen", kurz iPSC.
Das Team von Oliver Stegle hat zusammen mit Forschern der Stanford University und weiteren internationalen Kooperationspartnern Sequenz- sowie die Transkriptomdaten von iPSC von rund 1000 Spendern in einer Referenzdatenbank zusammengetragen. Diese Daten untersuchten die Forscher nun systematisch auf Zusammenhänge zwischen einzelnen Erbgutvarianten und veränderten Expressionsmustern in Stammzellen. Die Ergebnisse wurden nun in der Zeitschrift Nature Genetics veröffentlicht.
Bei über 67 Prozent aller Gene, die in den iPSC aktiv sind, fanden die Forscher differenzierte Expressionsmuster in Abhängigkeit von genetischen Varianten. Viele dieser Zusammenhänge konnten in somatischen Körperzellen bisher noch nicht beschrieben werden. Für über 4000 dieser Assoziationen konnten die Erbgutvarianten, die für die geänderten Expressionsmuster verantwortlich sind, mit bestimmten Krankheiten in Verbindung gebracht werden. Darunter waren beispielsweise Varianten, die mit koronaren Herzerkrankungen, Fettstoffwechselstörungen oder vererbbarem Krebs in Verbindung stehen.
Die Forscher untersuchten außerdem, ob sich iPS dafür eignen, die ursächlichen Gene seltener genetischer Krankheiten zu identifizieren. Dazu nutzen sie iPSC-Linien von 65 Patienten, die an verschiedenen seltenen Erkrankungen litten, deren kausale Gendefekte aber durch vorherige Analysen bereits bekannt waren. In den Transkriptomdaten dieser iPSC-Linien fahndeten die Wissenschaftler nach besonders auffälligen „Ausreißern" im Expressionsmuster. Diese Analysen führten zuverlässig auf die Spur der genetischen Grundlage der Erkrankung. „Solche Untersuchungen waren bisher unmöglich, weil einfach keine ausreichend großen Referenzsammlungen von iPS-Transkriptomen vorlagen," erklärt Marc Jan Bonder, Erstautor der Studie.
„Wir waren davon überrascht, wie viele genetische Varianten bereits zum frühesten Zeitpunkt der Zelldifferenzierung, den die iPSC repräsentieren, im Expressionsmuster sichtbar sind. Bislang wurde die Relevanz der iPSC für solche biomedizinischen Analysen deutlich unterschätzt."
In einer weiteren Arbeit, die in derselben Nature Genetics-Ausgabe veröffentlicht wurde, hat Stegle zusammen mit Kollegen vom EMBL-EBI und dem Wellcome Trust Sanger Institut an über 200 iPSC-Linien untersucht, wie sich genetische Varianten auf die Ausdifferenzierung zu neuronalen Zellen auswirken.
Dazu führten die Wissenschaftler an verschiedenen Zeitpunkten der Differenzierung neuronaler Zellen RNA Einzelzell-Sequenzierungen durch. So konnten sie analysieren, wie genetische Varianten die Expressionsmuster in unterschiedlichen Differenzierungszuständen beeinflussen. „Auch hier erwiesen sich die iPSC als ideal, um Effekte bestimmter Genvarianten in Entwicklungsstadien von neuronalen Zellen zu identifizieren, auf die wir ansonsten keinen Zugriff hätten", erklärt Stegle.