Covid-19-Infektion kann Gefäßschäden im Herz verursachen

Forschungsteam nutzt innovative Röntgenbildgebung bei DESY für ersten direkten Nachweis

24.12.2021 - Deutschland

Ein interdisziplinäres Forschungsteam unter Leitung der Universität Göttingen und der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) hat mit Hilfe von DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III wesentliche Veränderungen im Herzmuskelgewebe von Menschen nachgewiesen, die an Covid-19 gestorben sind. Nachdem die Schädigung von Lungengewebe schon seit längerem im Fokus der Wissenschaft steht und inzwischen gut erforscht ist, untermauert die aktuelle Studie die Beteiligung des Herzens bei Covid-19 erstmals auf zellulärer Ebene durch eine Visualisierung und Analyse des betroffenen Gewebes in der dritten Dimension. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „eLife“ erscheinen.

M. Reichardt, P. Møller Jensen, T. Salditt

Gefäßnetzwerk (rot) im gesunden Herzgewebe (links) und bei schwerem Verlauf von Covid-19 (rechts). Durch fehlgeleitete Neubildung des Netzwerks in Folge von Covid-19 entstehen zahlreiche Verzweigungen, Verästelungen und sogar Schlaufen in den Kapillaren, die sich mathematisch durch Grafen analysieren lassen.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bildeten die Gewebearchitektur mittels Synchrotronstrahlung – einer besonders brillanten Röntgenstrahlung – mit hoher Auflösung ab und stellten sie dreidimensional dar. Dazu nutzten sie ein spezielles Röntgenmikroskop, das die Universität Göttingen an der Strahlführung P10 von DESYs Forschungslichtquelle PETRA III errichtet hat und betreibt. In den untersuchten schweren Krankheitsverläufen von Covid-19 beobachteten sie damit starke Veränderungen auf der Ebene feinster Gefäße, der sogenannten Kapillaren, im Herzmuskelgewebe.

Im Vergleich zum gesunden Herzen zeigte sich hier ein durch Neubildung und Aufspaltung der Gefäße chaotisch umgebautes Netzwerk voller Abspaltungen, Verzweigungen und Schlaufen. Diese Veränderungen sind der erste direkte visuelle Nachweis einer speziellen Form der Gefäßneubildung im Gewebe, der sogenannten intussuszeptiven Angiogene, einer der Haupttreiber der Lungenschädigung bei Covid-19. Um das Kapillarnetzwerk zu visualisieren, mussten die Gefäße im dreidimensionalen Volumen mit Methoden des maschinellen Lernens erst identifiziert werden. Dies erforderte zunächst eine aufwendige Markierung der Bilddaten „von Hand“.

„Um die Bildverarbeitung zu beschleunigen, haben wir deshalb die Gewebearchitektur auch automatisiert in ihre lokalen Symmetriemerkmale zerlegt und dann verglichen“, erklärt Hauptautor Marius Reichardt von der Universität Göttingen. Die daraus gewonnenen Parameter zeigten dann im Vergleich zu gesundem Gewebe und Erkrankungen wie schwerer Influenza und gewöhnlicher Herzmuskelentzündung eine völlig andere Qualität, wie die Studienleiter Tim Salditt von der Universität Göttingen und Danny Jonigk von der MHH berichten.

Das Besondere an dieser Studie: Im Gegensatz zur Gefäßarchitektur ließ sich die notwendige Datenqualität schon an einer kompakten Röntgenquelle im Labor der Universität Göttingen erreichen – dies könnte im Prinzip auch in jeder Klinik realisiert werden, um Pathologinnen und Pathologen auch in der Routinediagnostik zu unterstützen. Den Ansatz, die charakteristischen Gewebemuster in abstrakte mathematische Auftragungen umzuwandeln, wollen die Forschenden in Zukunft weiter ausbauen, um automatisierte Werkzeuge für die Diagnostik zu entwickeln, wiederum durch die Weiterentwicklung der Labor-Röntgenbildgebung und die Validierung durch Synchrotronstrahlung. Die Zusammenarbeit mit DESY wird dazu in den kommenden Jahren weiter ausgebaut.

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