Erschaffung eines künstlichen Pathologen

Forschende entwickeln mittels KI schnelle und präzise Methode, um Zellen in Proben von Krebspatienten zu analysieren

14.04.2023 - Deutschland

Ein Team des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts (MPL) und der FAU hat eine neue, schnelle und präzise Methode entwickelt, mit der Kliniker/-innen Zellen in Proben von Krebspatient/-innen analysieren können, ohne dass ausgebildete Patholog/-innen hinzugezogen werden müssen. Sie nutzen künstliche Intelligenz, um die Daten auszuwerten, die ihre Methode erzeugt.

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Symbolbild

Bei Krebsoperationen werden schnelle und genaue Informationen über das operierte Gewebe benötigt, um die nächsten Schritte der Chirurg/-innen zu steuern. Wenn ein Krebspatient mit einem soliden Tumor operiert wird, schickt der Chirurg eine Biopsieprobe an einen Pathologen, der eine schnelle Beurteilung vornimmt. Der Pathologe muss zum Beispiel beurteilen, ob das Gewebe gesund ist oder nicht oder wie weit sich der Krebs in die Organe ausgebreitet hat.

Der herkömmliche Prozess einer solchen intraoperativen Diagnose ist zeit-, ressourcen- und arbeitsintensiv.

Aber was wäre, wenn es eine Methode gäbe, die diese Analyse von soliden Tumoren in nur 30 Minuten, genau und ohne einen ausgebildeten Pathologen durchführen könnte? Genau das ist das Ergebnis der Bemühungen von Wissenschaftler/-innen des MPL und des Max-Planck-Zentrums für Physik und Medizin (MPZPM), in Zusammenarbeit mit der FAU, dem Uniklinikum Erlangen und dem Fraunhofer-Institut für Prozessautomatisierung (IPA) in Mannheim.

In einer in Nature Biomedical Engineering veröffentlichten Studie nutzt das Team um Dr. Despina Soteriou, Dr. Markéta Kubánková und MPL-Direktor und FAU-Professor Jochen Guck eine vom IPA entwickelte Gewebezerkleinerungsmaschine, um Biopsieproben schnell bis auf Einzelzellniveau zu zerlegen. Diese Einzelzellen werden dann mit der Echtzeit-Verformbarkeitszytometrie (RT-DC), einer im Guck-Labor entwickelten markierungsfreien Methode, analysiert.

Damit können sie die physikalischen Eigenschaften von bis zu 1.000 Zellen pro Sekunde analysieren. Das ist 36-tausendmal schneller als ältere, eher „traditionelle“ Methoden zur Analyse der Zellverformbarkeit.

Ein physikalischer Ansatz für die Zellanalyse

Bei der RT-DC werden einzelne Zellen mit hoher Geschwindigkeit durch einen mikroskopischen Kanal geschoben, wo sie sich unter der Belastung und dem Druck verformen. Von jeder Zelle wird ein Bild aufgenommen. Anhand der Bilder können die Wissenschaftler verschiedene physikalische Eigenschaften der Zellen bestimmen, wie ihre Größe, Form oder Verformbarkeit.

Kubánková erklärt den Vorteil der Konzentration auf die physikalischen Eigenschaften der Zellen: „Wenn Sie zu Ihrem Arzt gehen, schaut er Sie nicht nur an, sondern untersucht Sie auch körperlich und tastet Teile Ihres Körpers ab. Bei den herkömmlichen Methoden zur Analyse einer Biopsieprobe kann der Pathologe nur die Zellen betrachten. Wir können die physische Untersuchung der einzelnen Zellen durchführen, und das gibt uns viel mehr Informationen, mit denen wir arbeiten können.“

Die bloße physische Untersuchung von Zellen reicht für die Diagnose nicht aus. Die Ärzte müssen in der Lage sein, diese Ergebnisse ohne die Hilfe eines ausgebildeten Pathologen oder Physikers zu bewerten. Um dies zu erreichen, hat die MPL-Gruppe die Gewebezerkleinerungsmaschine und RT-DC mit einem dritten Werkzeug kombiniert: künstliche Intelligenz (KI).

Das KI-Modell wertet die großen komplexen Datensätze aus, die durch die RT-DC-Analyse gewonnen werden, und beurteilt schnell, ob eine Biopsieprobe Tumorgewebe enthält oder nicht. Der Einsatz der KI bestätigte auch die Bedeutung der Zellverformbarkeit als Biomarker, da die Ergebnisse deutlich schlechter ausfielen, wenn die KI nicht mit dieser Variable trainiert war.

Insgesamt dauert das gesamte Verfahren einschließlich der Probenverarbeitung und der automatischen Datenanalyse weniger als 30 Minuten und ist damit schnell genug, um während einer Operation durchgeführt zu werden. Wichtig ist auch, dass kein Pathologe für die Auswertung der Probe zur Verfügung stehen muss. Dies ist ein großer Vorteil, da intraoperative Konsultationen nicht immer möglich sind und die Proben an manchen Standorten erst nach Abschluss der Operation analysiert werden können. Je nach Ergebnis bedeutet dies oft, dass der Patient Tage später zu einer weiteren Operation ins Krankenhaus zurückkehren muss.

Neben der Untersuchung auf das Vorhandensein von Tumoren wurde die Methode auch zum Nachweis von Gewebeentzündungen in einem Modell für entzündliche Darmerkrankungen (IBD) eingesetzt. In Zukunft könnte die Methode Klinikern dabei helfen, den Schweregrad der Krankheit zu beurteilen oder zwischen verschiedenen Arten von IBD zu unterscheiden.

Das Team strebt an, seine Methode eines Tages in den klinischen Bereich zu übertragen, um die klassische pathologische Analyse zu unterstützen oder sogar zu ersetzen. Soteriou ist mit den Ergebnissen ihrer Studie zufrieden: „Dies war eine Proof-of-Concept-Studie – die Methode konnte das Vorhandensein von Tumorgewebe in unseren Proben sehr schnell und präzise bestimmen. Der nächste Schritt wird darin bestehen, weiterhin sehr eng mit Klinikern zusammenzuarbeiten, um festzustellen, wie diese Methode am besten in die Klinik übertragen werden kann.“

MPL-Direktor und derzeitiger Sprecher des MPZPM, Prof. Guck kommentiert: „Dies ist ein erster großer Erfolg des neuen MPZPM und ein hervorragendes Beispiel dafür, wie neue physikalische Ansätze dazu beitragen können, seit langem bestehende Probleme in der klinischen Medizin, wie etwa die genaue Krebsdiagnose, zu verbessern. Mit der Fertigstellung des MPZPM-Gebäudes auf dem Medizin-Campus im nächsten Sommer werden die wichtigen Interaktionen zwischen Physikern und klinischen Forschern noch häufiger und umfangreicher werden, und es sind weitere bahnbrechende Ergebnisse zu erwarten.“

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