Einfache Diagnostik für Volkskrankheiten
Mithilfe einer einzigen Infrarotlichtmessung und maschinellem Lernen lassen sich unter anderem Stoffwechselstörungen und Bluthochdruck erkennen
© Thorsten Naeser
Etwa neun Prozent der Erwachsenen in Deutschland dürften dem Robert-Koch-Institut (RKI) zufolge an der Zuckerkrankheit leiden, genauer gesagt an einem Typ-2-Diabetes, der vor allem bei Menschen über 40 auftritt. Doch nur bei gut sieben Prozent wurde die Erkrankung auch diagnostiziert. Etwa 1,3 Millionen Menschen wissen also nicht, dass sie einen Diabetes haben, was ihr Risiko unter anderem für Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich erhöht. Noch mehr Menschen in Deutschland ist nicht bekannt, dass sie an Bluthochdruck leiden und damit ein erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt tragen. Im Jahr 2014/15 wussten nach einer Studie des RKI gut 30 Prozent der Erwachsenen, also etwa 22 Millionen Menschen, dass sie an der Erkrankung leiden. Doch rund fünf Millionen Personen leiden an unerkanntem Bluthochdruck. Routinemäßige Screenings der Bevölkerung könnten also Millionen Menschen vor den Folgen von Diabetes oder Bluthochdruck bewahren. „Solche bevölkerungsweiten Untersuchungen sind dank unserer Methode künftig einfacher möglich“, sagt Mihaela Žigman, die eine Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Quantenoptik und der Ludwigs-Maximilians-Universität leitet und für die aktuelle Studie verantwortlich ist.
Žigmans Team hat eine Methode entwickelt hat, um die biochemischen Veränderungen im Blutplasma, die mit den verschiedenen Krankheiten einhergehen, über eine Messung mit einem Infrarotlicht nachzuweisen. Denn Moleküle, die für eine Krankheit typisch sind – sogenannte Biomarker – verändern das Infrarotspektrum des Blutplasmas auf charakteristische Weise. So erhalten die Forschenden einen molekularen Fingerabdruck der Erkrankungen, und zwar mit einer einzigen Messung für Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte und Prädiabetes. Um die Veränderungen im Gesundheitszustand eines Menschen identifizieren zu können, trainierten die Forschenden einen Algorithmus des maschinellen Lernens, darauf, die entsprechenden Infraort-Fingerabdrücke zu erkennen. So können sie auch das metabolische Syndrom beziehungsweise dessen Vorstufe diagnostizieren. Das metabolische Syndrom umfasst mehrere Veränderungen des Gesundheitszustands, von denen eine Person mindestens drei aufweisen muss: Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte, einen erniedrigten HDL-Cholesterinspiegel, eine erhöhte Menge an Bauchfett und eine Insulinresistenz, die auf einen sich entwickelnde Diabetes hinweist. Menschen mit dem metabolischen Syndrom haben ein erhöhtes Risiko, etwa an Herzkreislauferkrankungen und Darm- oder Leberkrebs zu erkranken.
Diagnostik mit hoher Genauigkeit
In einer Studie mit rund 5200 Blutproben von knapp 3200 Probandinnen und Probanden hat das Team des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik, der Ludwig-Maximilians-Universität und des Helmholtz-Zentrums München nun untersucht, wie zuverlässig ihre Methode die verschiedenen Krankheiten nachweist. Zu diesem Zweck analysierten sie Blutplasma der Teilnehmenden nicht nur mit Infrarot-Licht, sondern die Teilnehmenden auch mit der aktuellen Standarddiagnostik für jede der Krankheiten. Die Studie ist in der Fachzeitschrift Cell Reports Medicine erschienen. Demnach lassen sich ein Typ-2-Diabetes und erhöhte Blutfettwerte anhand des Infrarot-Fingerabdrucks mit rund 95 prozentiger Genauigkeit identifizieren. Das metabolische Syndrom erkannte die Methode mit fast 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit. Für Bluthochdruck und Prädiabetes liegt die Sensitivität immerhin bei gut 75 Prozent. „Für die medizinische Praxis sollte die Sensitivität/Quote möglichst über 75 Prozent liegen“, sagt Mihaela Žigman.
Von gut 2000 Teilnehmenden der Studie analysierten die Forschenden zwei Proben, die sie im Abstand von sechs bis sieben Jahren genommen hatten. Von diesen entwickelten mehr als 200 zwischen den beiden Messungen ein metabolisches Syndrom. Das nutzten die Forschenden, um ihren Algorithmus darauf zu trainieren, anhand einer Blutprobe vorherzusagen, ob bei einer Person in den kommenden sechseinhalb Jahren ein metabolisches Syndrom auftreten wird. Tatsächlich gelang das dem Algorithmus mit einer 77-prozentigen Trefferquote.
Ein Infrarotfingerabdruck der Gesundheit
Aus medizinischer Sicht ist auch ein weiteres Ergebnis der aktuellen Studie relevant: „Unser Algorithmus erkennt in anhand einer einzigen Infrarotmessung auch, ob eine Person keine der von uns untersuchten Erkrankungen hat, also in dieser Hinsicht gesund ist“, sagt Mihaela Žigman. „Viele herkömmliche diagnostische Methoden haben häufig falsche Ergebnisse, weil die Werte, die auf eine Krankheit hindeuten, oft auf Messungen einzelner Moleküle oder einzelner Biomarker basieren.“ In einer früheren Studie hatte ein Team um Mihaela Žigman bereits gezeigt, dass sich Lungen-, Brust-, Prostata- und Blasenkrebs mit ihrem jeweiligen Infrarot-Fingerabdruck und maschinellem Lernen genauso treffsicher, aber einfacher und kostengünstiger nachweisen lassen als mit herkömmlichen Diagnostiken.
Damit die Methode des Teams aus Garching und München in die klinische Anwendung kommt, sind zum einen weitere Studien unabhängiger Forschungsgruppen erforderlich. Zum anderen muss sich ein Industriepartner finden, der ein praxistaugliches Gerät entwickelt und nach den strengen Kriterien für Medizinprodukte zertifizieren lässt. „Wir sind überzeugt, dass wir die Diagnose vieler Krankheiten mit einem Infrarot-Fingerabddruck deutlich vereinfachen können“, sagt Mihaela Žigman. „In der Medizin gibt es großes Interesse an einfachen Diagnostiken für umfassende Screenings. Jetzt muss sich unsere Methode noch im Gesundheitswesen etablieren.“
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Die Diagnostik ist das Herzstück der modernen Medizin und bildet in der Biotech- und Pharmabranche eine entscheidende Schnittstelle zwischen Forschung und Patientenversorgung. Sie ermöglicht nicht nur die frühzeitige Erkennung und Überwachung von Krankheiten, sondern spielt auch eine zentrale Rolle bei der individualisierten Medizin, indem sie gezielte Therapien basierend auf der genetischen und molekularen Signatur eines Individuums ermöglicht.
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