Das Proton - kleiner als gedacht

Ein internationales Team misst den Ladungsradius eines Wasserstoffkerns und stößt dabei auf physikalische Rätsel

09.07.2010 - Deutschland

Manchmal sind große Probleme ganz klein. Das Problem, mit dem sich Physiker nun beschäftigen müssen, misst gerade einmal 0,0350 Millionstel eines Millionstel Millimeters. Um genau so viel ist ein Proton, der Kern eines Wasserstoffatoms, kleiner als bislang angenommen. Statt 0,8768 Femtometer misst es nämlich nur 0,8418 Femtometer. Das hat ein internationales Forscherteam um Physiker des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik nun in Experimenten am Schweizer Paul-Scherrer-Institut gemessen, die zehnmal genauer sind als alle vorherigen: Sie bescheren der Physik damit einige knackige Probleme: Mindestens eine Naturkonstante ändert sich nun. Physiker müssen aber auch die Rechnungen der Quantenelektrodynamik überprüfen. Diese Theorie gilt als sehr gut belegt, ihre Vorhersagen stimmen aber nicht mit den aktuellen Messungen über.

Randolf Pohl / MPI für Quantenoptik

In einer Messkammer für Protonen:von links tritt der Myonenstrahl durch die ringförmigen Elektroden. Im Raum zwischen den beiden grau-metallischen Balken unter der Glasscheibe treffen die Myonen auf Wasserstoffgas - und verdrängen aus einem Teil der Atome die Elektronen. Diesen Prozess registriert der Apparat und schießt durch das Loch im unteren Balken einen Laser auf den myonischen Wasserstoff, um Feinheiten des atomaren Aufbaus und somit letztlich den Protonenradius zu enthüllen.

Jahrelang dachten Randolf Pohl und seine Kollegen, ihr Messinstrument sei nicht genau genug: Schon im Jahr 2003 hatten sie erstmals ein Experiment vorgenommen, um die Größe eines Protons zu bestimmen. Doch das Signal, das ihnen darüber Aufschluss geben sollte, haben sie nicht entdeckt. "Das lag aber nicht an der Genauigkeit unserer Methode, sondern daran, dass wir nicht mit einer so großen Abweichung gerechnet haben", sagt Randolf Pohl. So hatten die Forscher das Fenster für ihre Messungen zu klein gewählt. "Es ist trotzdem gut, dass wir unsere Methode noch einmal deutlich verfeinert haben, sonst würde man uns jetzt vielleicht nicht glauben", so Pohl.

Nun haben Randolf Pohl und seine Kollegen einer internationalen Kooperation also den Ladungsradius des Protons auf weniger als einen Tausendstel Femtometer genau gemessen. Das ist der Radius, den die Ladung des positiven Wasserstoffkerns einnimmt. Zu diesem Zweck haben sie winzige Feinheiten im atomaren Aufbau untersucht, und zwar in myonischem Wasserstoff, in dem nicht ein Elektron, sondern ein schwereres Myon um den Kern saust (siehe ‚Hintergrund: ein Lineal für ein Proton’). Demnach misst der Wasserstoffkern 0,8418 Femtometer. Ein Ergebnis, das um das Fünffache außerhalb der Fehlergrenzen liegt, mit denen Physiker die bisherigen Messungen für den Protonenradius versehen hatten.

Auch wenn die Abweichung nach alltäglichen Maßstäben vernachlässigbar ist, hat sie möglicherweise gravierende Folgen. Welche, können die Forscher jedoch noch nicht gänzlich absehen. Fest steht, dass sich damit die Rydberg-Konstante ändert. Mit ihrer Hilfe berechnen Quantenphysiker, welche Energiepäckchen Atome und Moleküle aufnehmen und abgeben, wenn sie ihre Zustände ändern. Diese Energiepäckchen entsprechen den Spektrallinien der Elemente. Die Berechnungen für die Spektrallinien verschieben sich nun merklich und passen nicht mehr zum experimentellen Befund.

Nun suchen die Theoretiker einen Rechenfehler

"Da man die Rydberg-Konstante von allen Natur-Konstanten bislang am genauesten bestimmt hat, ist sie wie ein Fels in der Brandung", sagt Randolf Pohl. Wenn Physiker ein selbstkonsistentes Bild aller Naturkonstanten zeichnen, können sich die anderen Naturkonstanten wie etwa das Planck’sche Wirkungsquantum oder die Masse des Elektrons nur um die Rydberg-Konstante herum bewegen. Dass der Fels nun leicht verrückt wurde, dürfte die anderen Naturkonstanten aber kaum beeindrucken: Sie sind bislang ganz so genau bestimmt wie die Rydberg-Konstante, sodass sie den Ruck wahrscheinlich gar nicht merken. Der Test dafür steht jedoch noch aus.

"Auch mit weitergehenden Konsequenzen müssen wir sehr vorsichtig sein", so Pohl. Allerdings rechnen viele Theoretiker weltweit nun die Vorhersagen der Quantenelektrodynamik mit dem neuen Protonenradius nach. Diese Quantentheorie beschreibt, wie sich Atome, Elektronen, Elementarteilchen und andere Akteure in der Welt des Allerkleinsten bewegen und welche elektromagnetischen Felder dabei entstehen. Sie liefert im Vergleich mit den experimentellen Daten auch einen Wert für den Protonenradius - der liegt aber deutlich über dem nun gemessenen. "Ich gehe davon aus, dass bei der Rechnung irgendwo ein Fehler gemacht wurde, weil die Theorie der Quantenelektrodynamik sehr konsistent und gut belegt ist", sagt Pohl. Wenn nicht, würde der leicht verschobene Protonenradius jedoch ein physikalisches Erdbeben auslösen, das zumindest mit beträchtlichen Verwerfungen in dieser Theorie endete.

Während Theoretiker jetzt also dem Rätsel um den falschen Protonenradius ihrer Modelle nachspüren, überprüfen die Garchinger Forscher und ihre Kollegen das neue Messergebnis mit weiteren Untersuchungen am Wasserstoffatom. Außerdem wollen sie ihre Apparatur so umbauen, dass sie auch den Ladungsradius des Heliumkerns messen können. Diese Untersuchungen sollen ihnen auch etwas darüber verraten, wie Atomkerne verzerrt werden, wenn sie mit einer negativen Ladung wechselwirken. So wollen die Physiker Schritt für Schritt den exakten Aufbau der Materie enthüllen - und hoffen natürlich, auf weitere physikalische Rätsel zu stoßen.

Originalveröffentlichung: Randolf Pohl et al.; "The size of the proton"; Nature, 8. Juli 2010

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