Erbgutkopie reist im Protein-Koffer
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(c) Foto: Jan Peter Siebrasse/Uni Bonn
Der Bauplan aller Lebewesen ist in ihrem Erbgut gespeichert. Dieses lagert bei höheren Organismen gut geschützt im Zellkern. „Dort stellt eine Art Kopierer rund um die Uhr Abschriften der Informationen her, die gerade benötigt werden“, sagt Jan Peter Siebrasse vom Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der Universität Bonn. Die Abschriften enthalten die Information, die die Zelle etwa zur Herstellung lebenswichtiger Enzyme oder sonstiger Baustoffe braucht. Diese Kopien bestehen aus Boten-RNA. Sie wandern auf zufälligen Pfaden zur Hülle des Zellkerns und von dort durch die Kernporen in das Zytoplasma, das die Zellen wie ein Wackelpudding ausfüllt.
Strikte Qualitätskontrolle an der Pore
Die Arbeitsgruppe hat herausgefunden, dass die Boten-RNA vor dem endgültigen Transport kurz an den Poren in der Kernhülle verweilt - vermutlich für eine letzte „Qualitätskontrolle“ oder einfach, weil sie sich passend zum Poreneingang ausrichten muss. Der Exportprozess dauert dann insgesamt nur wenige Hundertstel bis zu mehreren Sekunden. „Vermutlich braucht der Prozess für große, voluminöse Boten-RNA-Moleküle deutlich länger als für kleinere“, sagt Prof. Dr. Ulrich Kubitscheck, Leiter der Arbeitsgruppe Biophysikalische Chemie und Letztautor der Publikation.
Interessanterweise führt nur etwa jede vierte Kollision von eintreffender Boten-RNA mit der Kernhülle zu einem erfolgreichen Export. Dabei konnten zwei Arten von Prozessen unterschieden werden: Einerseits kurze Kollisionen mit der Kernhülle, bei denen vermutlich gar keine Pore getroffen wurde. Andererseits langsam ablaufende Transportabbrüche, bei denen vielleicht die Qualitätskontrolle negativ ausfiel.
RNA wird in einen „Reisekoffer“ aus Proteinen verpackt
Für den Transport wird die RNA gewissermaßen in einen „Reisekoffer“ aus Proteinen verpackt. „Und der ist ein ziemlicher Brocken“, schmunzelt Prof. Kubitscheck. Manche seiner Kollegen vermuten daher, dass es auf der Außenseite des Kerns Helfer geben muss, die den „Koffer“ durch die Poren zerren. Eine These, die der gelernte Physiker zusammen mit dem Molekularbiologen Jan Peter Siebrasse, gegenwärtig überprüft.
Was auf dem Weg vom Kopierer zu den Poren genau passiert, ist in den letzten Jahren unter anderem von Prof. Kubitschecks Arbeitsgruppe an der Universität Bonn aufgeklärt worden. „Schlüsselexperimente dazu hat der Biologe Dr. Roman Veith durchgeführt, dessen Promotion in diesem Jahr mit dem Dr. Edmund ter Meer-Promotionspreis der Universitätsgesellschaft ausgezeichnet wird“, berichtet Prof. Kubitscheck. Für diese Experimente wurde die Boten-RNA so verändert, dass sie bei Bestrahlung mit Laserlicht farbig aufleuchtete. So konnten die Forscher den Weg einzelner Moleküle der Erbgut-Abschriften in lebenden Munddrüsenzellen einer Mückenart mit bis zu 500 Bildern pro Sekunde aufzeichnen. Ein Lichtmikroskop mit einer Hochgeschwindigkeitskamera ermöglichte die Beobachtung.
Forscher konstruierten spezielles Lichtmikroskop
Nachdem die Transportprozesse zwischen „Kopierer“ und Zellkernhülle verstanden waren, haben sich Prof. Kubitscheck und seine Kollegen in den vergangenen Jahren auf den direkten Transportprozess durch die Kernporen konzentriert. Um ihn beobachten zu können, haben sie in jahrelanger Arbeit ein hochempfindliches Lichtmikroskop konstruiert, das auf der Basis der Lichtscheibenbeleuchtung arbeitet. Es ermöglicht eine schonende Abbildung lebender Proben und erzeugt bei der Aufnahme von Bildern mit hoher Frequenz einen ungewöhnlich hohen Kontrast.
Prozess ist von fundamentalem biologischem Interesse
Die Frage, wie die Boten-RNA vom Zellkern in die Zelle gelangt, ist von fundamentalem biologischen Interesse, wie der begleitende Kommentar zur Arbeit der Bonner Wissenschaftler von Prof. Dr. Thoru Pederson (University of Massachusetts Medical School) betont. Dazu gab es in den vergangenen Jahren zwei Publikationen von Arbeitsgruppen aus den USA und aus Israel. Bei diesen Arbeiten sei jedoch die Boten-RNA mit Zusatzstoffen verändert worden, die das Volumen dieser Moleküle mindestens verdoppelt haben. Im Gegensatz dazu hat die Bonner Arbeitsgruppe die Boten-RNA auf eine vernachlässigbare Weise modifiziert, wie Prof. Pederson herausstellt.