Bereits über 400 EHEC-Neuerkrankungen 2012

Nur wenige Lebensmittelproduzenten lassen regelmäßige Laborkontrollen durchführen

16.01.2013 - Deutschland

53 Menschenleben forderte der Escherichia coli-Stamm EHEC O104:H4 im Jahr 2011, insgesamt erkrankten 3.842 Personen. Angeheizt von täglichen Schreckensmeldungen aßen Millionen Bundesbürger wochenlang kein Gemüse mehr und die Lebensmittellabore bekamen Unmengen an Proben zur Überprüfung zugeschickt. Über ein Jahr nach der EHEC-Epidemie hat sich das Kaufverhalten wieder weitgehend normalisiert und der Keim ist aus der medialen Aufmerksamkeit verschwunden. Gleichzeitig hat jedoch auch die Überprüfungsmoral der Lebensmittelhersteller nachgelassen. Dabei verursacht EHEC nach wie vor jährlich bis zu 1.000 Erkrankungen und auch weitere Lebensmittelkeime stellen eine große Gefahr für die Gesundheit der Verbraucher dar. Um die Unbedenklichkeit der eigenen Produkte zu gewährleisten, lässt der größte deutsche Sprossenhersteller, Deiters & Florin, daher seine Produkte regelmäßig im Lebensmittellabor LADR auf einen Befall mit EHEC und anderen pathogenen Keimen untersuchen.

„Während der Epidemie 2011 kam es zu einem regelrechten Probenansturm auf unser Labor“, berichtet Dr. Burkhard Schütze, Leiter des Bereichs Lebensmittelanalytik bei der LADR GmbH in Geesthacht. „Wir bekamen kistenweise Salatköpfe, Tomaten und Gurken angeliefert, dabei sind für das EHEC-Analyseverfahren nur 25 Gramm des jeweiligen Nahrungsmittels nötig.“ Doch Landwirte und Nahrungsmittelhersteller wollten angesichts der plötzlichen Existenzbedrohung Klarheit über ihre Produkte. Während des EHEC-Ausbruchs überprüften die Wissenschaftler täglich bis zu 200 Proben. Mittlerweile sind die Zahlen jedoch drastisch zurückgegangen, aktuell werden nur noch 20 bis 50 Proben am Tag untersucht.

Millionenschaden bei EHEC-freien Unternehmen

Zu den Unternehmen, die ihre Produkte nach wie vor regelmäßig von LADR auf EHEC untersuchen lassen, gehört auch die Hamburger Deiters & Florin GmbH. „Wir haben schon vor der Krise regelmäßig Proben auf pathogene Keime überprüfen lassen, Untersuchungen auf EHEC erfolgten bis Mai 2011 allerdings nur unregelmäßig“, erklärt Norbert Deiters, Geschäftsführer von Deiters & Florin. „Schon vor dem Zeitpunkt der allgemeinen Warnung Ende Mai 2011 konnten wir in allen Bereichen Negativbefunde vorweisen. Wir haben in der Folge den unregelmäßigen EHEC-Test auf einen regelmäßigen Zeitablauf umgestellt.“ Wie bei vielen anderen EHEC-freien Unternehmen führte die Berichterstattung der Medien aber auch bei Deiters & Florin zu großen Absatzeinbrüchen. „Der finanzielle Schaden, den die EHEC-Epidemie verursacht hat, liegt mindestens im hohen sechsstelligen Bereich“, erklärt Deiters. „Und die Krise ist nach wie vor nicht ganz überwunden. Bei unserer Sprossen-Frischware erzielen wir immer noch nur 60 Prozent der Altmengen.“ Diese Sparte ist besonders betroffen, da von offizieller Seite zuletzt Bockshornkleesamen aus Ägypten sowie Sprossen und Keimlinge aus dem niedersächsischen Bienenbüttel als Auslöser der Epidemie identifiziert wurden. „Inwieweit sich diese Darstellung aufrecht erhalten lässt, bleibt abzuwarten, nachdem in einem Klageverfahren vom Land Niedersachsen ein Vergleich mit dem Bienenbütteler Unternehmen geschlossen wurde, über dessen Inhalt man sich ausschweigt“, sagt Deiters.

Solche Millionenschäden ließen sich zukünftig allerdings vermeiden, wenn die Lebensmittelämter verbindliche Vorgaben für regelmäßige Stichproben festlegen würden. Doch nach wie vor besteht keine Untersuchungspflicht: „Welche pathogenen Keime wie häufig untersucht werden, ist gesetzlich nicht eindeutig geregelt“, erläutert Schütze. Solange es keine verbindlichen Vorgaben gibt, kann jedoch nur an die Eigenverantwortung der Lebensmittel­produzenten appelliert werden. Wenn sämtliche Betriebe lückenlose Prüfberichte darüber vorlegen könnten, dass ihre Erzeugnisse frei von krankmachenden Bakterien und Keimen sind, wäre künftig auch dem Medien-Hype schnell der Wind aus den Segeln genommen: „Standards in der Produktionsüberwachung sowie in der Betriebshygiene, wie sie bei uns üblich sind, können die Risiken erheblich reduzieren“, betont Deiters. „Es wäre aus meiner Sicht völlig undenkbar, dass wir ein Problem, wie es im letzten Jahr im Sprossenhof in Bienenbüttel aufgetreten sein soll, in unserer Produktion wochenlang nicht bemerkt hätten.“

Laboranalysen gewährleisten Unbedenklichkeit von Sprossen-Produkten

Mit Ausnahme einer häufigeren und regelmäßigeren Untersuchung auf EHEC musste der Prüfungsplan von Deiters & Florin nicht weiter angepasst werden. Aktuell lässt der Betrieb im Rahmen der unternehmensinternen Qualitätsrichtlinien einmal wöchentlich unterschiedliche Sprossen aus der laufenden Produktion überprüfen. Es handelt sich dabei um angekeimte Produkte, die noch nicht zum Verkauf freigegeben sind. Im wöchentlichen Wechsel werden sie auf verschiedene mikrobiologische Parameter untersucht: In der ersten und dritten Woche wird eine 25 g-Probe auf EHEC, in der zweiten und vierten Woche eine 100 g-Probe auf Salmonellen geprüft. In der fünften Woche schließlich wird die Keimzahl von Bacillus cereus und Listeria monocytogenes bestimmt. „Unserer Erfahrung nach ist die Lebensmittelsicherheit der überprüften Produkte durch dieses Untersuchungsprogramm gewährleistet“, sagt Schütze. Bei Waren mit Verbrauchsdaten von einer Woche spielt die Geschwindigkeit der Auftragsbearbeitung eine entscheidende Rolle: „Die wöchentlichen Proben werden jeden Dienstag gezogen, 24 Stunden später liegen uns die Ergebnisse vor“, so Deiters, der mit LADR mittlerweile schon seit zwei Jahrzehnten zusammenarbeitet.

Daneben führt Deiters & Florin zusätzliche interne Beprobungen im nicht pathogenen Bereich durch. Weiter erfolgt eine sensorische Überprüfung jedes einzelnen Produktes am Ablauftag des Verbrauchsdatums. Die Untersuchungen sind Teil des Hygienekonzepts des Sprossenherstellers. „Alle unsere Verfahrensschritte werden im Rahmen eines HACCP-Konzeptes kritisch beurteilt“, so Deiters. „Diese Beurteilung wird jedes Jahr mindestens einmal neu hinterfragt und die hierdurch ausgelösten Kontrollschritte werden in Prüflisten dokumentiert.“ Das Qualitätssicherungssystem des Unternehmens, das als einziger Sprossen-Betrieb in Europa eine QS-Zertifizierung hat, wird nach DIN ISO 9001-2008 gesteuert und entspricht den Anforderungen des International Food Standard (IFS) auf höherem Niveau.

Großer rechtlicher Spielraum bei Lebensmittelkontrollen

Wie Deiters & Florin sind viele Hersteller sehr sorgsam und führen seit der EHEC-Krise routinemäßig mehr Selbstkontrollen durch als im vergangenen Jahr. Doch obwohl die Analysen für den Auftraggeber weder mit großem Aufwand noch mit hohen Kosten verbunden sind und ein erhebliches Maß an Sicherheit bringen, gibt es auch eine große Zahl von Betrieben, die keine regelmäßigen freiwilligen Kontrollen durchführen. Vielen Landwirten und Herstellern von Risikolebensmitteln fehlt das Bewusstsein über die Notwendigkeit der Beprobungen, da sie nicht das Fachwissen über die verschiedenen Keime haben. Es gibt jedoch auch etliche Lebensmittelproduzenten, die wegen eines als gering eingeschätzten Risikos bewusst keine Kontrollen durchführen und die Analysekosten einsparen. Sie nutzen so den Spielraum, den die vagen rechtlichen Regelungen ermöglichen.

Das Maßnahmenpaket zum verbesserten Schutz vor Infektionen, das das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz als Reaktion auf die EHEC-Krise Anfang Mai diesen Jahres vorstellte, ist allerdings ein erster Schritt zu strengeren Kontrollen: Es umfasst schärfere Hygieneanforderungen für Sprossenbetriebe, regelmäßige EHEC-Untersuchungen von Sprossen-Produkten als neues Lebensmittelsicherheitskriterium sowie eine Verbesserung der Rückverfolgbarkeit und des Krisenmanagements von Bund und Ländern. „Mir persönlich erscheinen die Maßnahmen als sehr ‚Sprossen-lastig’“, urteilt Laborleiter Schütze. „Es sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass die Sprossen, die die letztjährige Epidemie verursacht haben, nicht natürlich mit EHEC O104:H4 belastet waren. Sie wurden vermutlich – auf eine nach wie vor ungeklärte Art und Weise – über einen menschlichen Überträger kontaminiert, da dieser spezielle Escherichia coli-Stamm nach aktuellem wissenschaftlichen Stand nur im menschlichen Darm zuhause ist.“ Somit hätte es also auch jedes andere Lebensmittel treffen können. Darüber hinaus ist aus Sicht von Deiters die Ursache der EHEC-Krise keinesfalls geklärt: „Es lässt sich lediglich bei zehn Prozent der Ausbruchsherde eine Verbindung zum Betrieb in Bienenbüttel zurückverfolgen. Bei den übrigen 90 Prozent ist der Kontaminations- beziehungsweise Infektionsweg nicht zweifelsfrei festgestellt worden.“

Neues Maßnahmenpaket des Bundes greift zu kurz

Schütze begrüßt die Maßnahmen des Bundes grundsätzlich, wünscht sich aber eine Ausweitung auch auf andere Lebensmittelbereiche: „Die zum Teil sehr konkreten Maßnahmen sollten nicht nur für Sprossen und den ‚Pressekeim’ EHEC O104:H4 gelten, sondern insgesamt für krankmachende Keime und Risikolebensmittel wie beispielsweise Rind-, Hack- und Geflügelfleisch, Carpaccio, rohen und geräucherten Fisch und Frischsalate.“ So gab es in diesem Jahr bis Ende April bereits 13.923 gemeldete Fälle an Campylobacter-Enteritis, einer schwerwiegenden Durchfallerkrankung, die durch das Bakterium Campylobacter jejuni verursacht wird. „In Fachkreisen ist bekannt, dass nahezu 50 Prozent des Tiefkühlgeflügels belastet ist“, so Schütze. Da die Verbraucher von dieser Gefahr jedoch nichts wissen, verursachen sie durch mangelnde Hygiene in der Küche häufig selbst eine Kreuzkontamination und begünstigen die Infektion. „Hier wären einerseits Untersuchungen der Produkte auf Campylobacter sinnvoll, anderseits müssten Warnhinweise oder Hygienetipps viel deutlicher auf den Verpackungen stehen.“

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