Wissenschaftler röntgen winzige Organellen von Bakterien

Röntgenlasermethode erfolgreich getestet

20.11.2014 - Deutschland

Ein internationales Team unter der Leitung von Wissenschaftlern der Universität Uppsala hat eine Röntgenlaser-Methode zur Abbildung biologischer Partikel entwickelt. Mit dieser Methode gewonnene Bilder zeigen das Carboxysom, eine fragile winzige Zellorganelle in Cyanobakterien, die wie Pflanzen Photosynthese betreiben. Organellen sind Strukturen in Zellen, die für bestimmte Aufgaben zuständig sind – ähnlich wie Organe im Körper Aufgaben übernehmen. Das im Journal "Nature Photonics" beschriebene Experiment ist ein Meilenstein für die Untersuchung biologischer Strukturen mit Röntgenlasern wie dem European XFEL, der zurzeit vom DESY-Campus in Hamburg bis ins benachbarte Schenefeld gebaut wird.

"Die Technik eröffnet die Möglichkeit dreidimensionale Bilder von Zellbestandteilen oder kleinen Viren aufzunehmen und so neue Einblicke in die Maschinerie des Lebens zu gewinnen", sagt Professor Janos Hajdu von der Universität Uppsala, einer der federführenden Wissenschaftler der Publikation und wissenschaftlicher Berater bei European XFEL.

Um die neue Methode zu erproben fiel die Wahl der Wissenschaftler von der Universität Uppsala, European XFEL, DESY und anderen Forschungseinrichtungen auf das Carboxysom, das Zellorganell mit dem Cyanobakterien Kohlenstoff fixieren. Dirk Hasse und Inger Andersson, Wissenschaftler des Forscherteams aus Uppsala, untersuchen intensiv diese Strukturen, die aus dem Kohlendioxid der Luft Biomoleküle herstellen. Etwa ein Drittel der globalen Kohlenstofffixierung erfolgt in Carboxysomen. Die Zellorganellen gleichen winzigen 20-seitigen Würfeln, sogenannten Ikosaedern. Mit etwa 100 Nanometern Durchmesser – ein Nanometer ist ein millionstel Millimeter – sind Carboxysomen jedoch deutlich zu klein für Untersuchungen mit Lichtmikroskopen.

Bei dem Experiment sprühten die Wissenschaftler einen haarfeinen und dichten Strahl aus Carboxysomen in den Fokus des Röntgenlasers LCLS am US-Beschleunigerzentrum SLAC in Kalifornien. Sie verwendeten einen speziell für dieses Verfahren entwickelten Injektor mit sehr hohem Durchsatzvermögen. "Die Struktur der Organellen lässt sich aus der Art und Weise bestimmen, wie die einzelnen Carboxysomen die extrem kurzen und hellen LCLS-Röntgenblitze streuen", erläutert Ko-Autor Anton Barty von DESY. Bislang funktionierte diese Methode nur, wenn die Probe vor der Messung kristallisiert werden konnte, da die regelmäßige Anordnung der Moleküle in einem Kristall das Beugungsbild der Probe für die Strukturmessung ausreichend verstärkt. Carboxysome und viele andere biologische Proben lassen sich jedoch nicht kristallisieren. "Dank der extremen Brillanz des Röntgenlasers, der so kurze Röntgenpulse liefert, dass sich Informationen gewinnen lassen, noch bevor die Probe explodiert, konnten wir individuelle Proben rekonstruieren, ohne sie kristallisieren zu müssen."

In nur zwölf Minuten nahmen die Wissenschaftler Beugungsbilder von beinahe 70.000 Partikeln auf. Die Auswertung zeigt wie erwartet, dass die Carboxysomen die Form eines Ikosaeders haben, ein aus 20 gleichseitigen Dreiecken aufgebauter Körper. Die Größe der untersuchten Carboxysomen variiert zwischen 100 und 130 Nanometern. Diese Größenschwankungen haben Wissenschaftler bis heute daran gehindert, Carboxysomen zu kristallisieren und mit Röntgenlicht zu untersuchen. "Unsere Methode erlaubt die Untersuchung von biologischen Partikeln, die in Größe und Form variieren", sagt Max Hantke, der als Doktorand im Bereich molekulare Biophysik an der Universität Uppsala forscht und die Untersuchungen geleitet hat.

Während um hohe Auflösungen zu erreichen mit Elektronenmikroskopen nur gefrorene Proben untersucht werden können, erlauben Röntgenlaser wie der LCLS oder der European XFEL Untersuchungen ohne Einfrieren der Probe. Das Verfahren ermöglicht es darüber hinaus, ganze lebende Zellen mit hoher Detailschärfe abzubilden.

"Die Carboxysomen sind bislang die kleinsten biologischen Objekte, die in nicht-kristallisierter Form mit einem Röntgenlaser untersucht wurden. Dabei haben wir für diese Technik auch die Auflösung steigern können", sagt Hantke. Die berechneten Bilder zeigen Details bis zu einer Größe von 18 Nanometern. "Zum ersten Mal erreichen wir mit einem Röntgenlaser diese sehr interessante Größenordnung. Viren wie HIV, Grippe- oder Herpes-Viren haben etwa dieselbe Größenordnung wie ein Carboxysom", erläutert Hantke. "Wir hoffen, dass unsere Arbeit zu dreidimensionalen Modellen für unterschiedlichste Nano-Zellbestandteile führt, die mit herkömmlichen Verfahren derzeit nicht untersucht werden können."

"Diese Entwicklung schafft die Grundlagen für ein neues äußerst präzises Strukturbestimmungsverfahren mit hohem Durchsatzvermögen. Es wird uns ermöglichen, strukturelle Variation in belebter und unbelebter Materie zu studieren", erklärt Professor Janos Hajdu von der Universität Uppsala. Die Größenverteilungen der Carboxysomen vor und nach dem Experiment stimmten überein, wie Hantke betont. Dies legt nahe, dass die fragilen Carboxysomen die Injektion unbeschadet überstehen und getrennt als einzelne Partikel in den Röntgenfokus fliegen. "In der Biologie gibt es strukturelle Heterogenität und Variabilität auf allen Ebenen. Wir haben eine Technik gesucht, mit der wir heterogene Strukturen unterhalb der Zell-Ebene beobachten können", erklärt Hajdu.

Der intensive Röntgenpuls zerstört zwar die Probe, jedoch ist der Puls so kurz, dass er eine exakte Messung der Struktur vor ihrer Explosion ermöglicht. Diese als „Diffraction before Distruction“ (Beugung vor der Zerstörung) bekannte Methode wurde im Jahr 2000 von der Gruppe in Uppsala vorgeschlagen und erstmals mit nicht-biologischen Proben 2006 am Röntgenlaser FLASH bei DESY demonstriert.

Die Abbildung einzelner biologischer Partikel soll am European XFEL bereits zu Beginn des Nutzerbetriebs 2017 möglich sein. "Mit seinen 27.000 Lichtblitzen pro Sekunde und seiner hohen Intensität wird der European XFEL weitere Chancen und Möglichkeiten für die Wissenschaft eröffnen", sagt Hajdu. Von besonderem Interesse ist unter anderem die strukturelle Variabilität biologischer Objekte, die auch von Faktoren wie Umwelt und Genetik abhängt. Für solche Untersuchungen werden Methoden benötigt, die in kurzer Zeit sehr viele Proben analysieren können, um verlässliche statistische Aussagen machen zu können.

"Die Ergebnisse zeigen einen Weg auf zu einer Massen-Untersuchung biologischer Proben mit hoher Auflösung", fasst Hantkes Betreuer Filipe Maja zusammen. "Hohe Datenraten und sehr kurze Röntgenblitze ermöglichen es, Veränderungen der Partikel und Strukturunterschiede zu beobachten, die für das Leben von entscheidender Bedeutung sind."

Originalveröffentlichung

Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen