Filmen von Chemie in Echtzeit

09.12.2014 - Deutschland

Chemie ist allgegenwärtig. In chemischen Reaktionen lagern sich Atome in bzw. zwischen Molekülen um, während chemische Bindungen gebildet und gebrochen werden. Diese chemischen Bindungen bestehen aus Valenzelektronen. Wissenschaftler des Berliner Max-Born-Instituts für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI) konnten jetzt zeigen, dass eine ultraschnelle Röntgenkamera nicht nur sensitiv gegenüber von chemisch inerten Rumpfelektronen ist, sondern auch die Bewegung von chemisch aktiven Valenzelektronen visualisieren kann.

MBI

Bildung und der Bruch von chemischen Bindungen entlang unterschiedlicher Reaktionswege.

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Aufnahme des Bruchs und der Bildung von chemischen Bindungen während einer perizyklischen Reaktion.

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Dementsprechend ist die Bewegung von Valenzelektronen zentraler Bestandteil von jeder chemischen Reaktion. Dabei muss beachtet werden, dass lediglich ein Bruchteil dieser Valenzelektronen - oft nur ein kleiner Teil der Ladung eines Elektrons - aktiv an chemischen Reaktionen teilnimmt. Und dies geschieht äußerst schnell: Die Dauer von vielen wichtigen chemischen Prozessen wie z.B. die ersten Schritte des Sehvorgangs und der Lichtsammlung in biologischen Systemen, beträgt lediglich wenige Femtosekunden (1 Femtosekunde = 10hoch-15 Sekunden). Die Aufnahme dieser chemisch aktiven Valenzelektronen ist daher äußerst anspruchsvoll. Erstens benötigt man eine Kamera mit exzellenter Zeit- und Ortsauflösung. Zweitens wird eine sehr empfindliche Kamera benötigt, denn man ist nicht nur daran interessiert wie sich die Atome bewegen, sondern auch daran wie chemische Bindungen gebrochen und neue Bindungen gebildet werden - und das bedeutet den Bruchteil an aktiven Valenzelektronen aufzunehmen, welche sich im Meer aller Elektronen bewegen, die an die Atome in Molekülen gebunden sind.

Eine Röntgenkamera genügt leicht der ersten Voraussetzung. Die Streuung von Röntgenstrahlung durch Materie ist seit Entdeckung von Röntgenstrahlung ein unverzichtbares Hilfsmittel der Strukturauflösung mit atomarer Ortsauflösung. Durch enormen technologischen Fortschritt können nun auch ultrakurze Röntgenblitze generiert werden, welche vorausgehende Untersuchungen um Zeitauflösung im Femtosekundenbereich erweitern können. Diese Röntgenblitze versprechen stroboskopische Schnappschüsse von chemischen und biologischen Prozessen in individuellen Molekülen zu generieren.

Das Erfüllen der zweiten Voraussetzung - Sensibilität gegenüber aktiven Valenzelektronen - gehört allerdings nicht zu den Stärken einer Röntgenkamera. Die Streuung von Röntgenstrahlung durch Moleküle wird immer durch Rumpfelektronen und inerte Valenzelektronen dominiert. Daher wird generell angenommen, dass der kleine Teil von Valenzelektronen, welcher aktiv an chemischen Reaktionen beteiligt ist, im Gesamtstreusignal untergeht und damit die Aufnahme der ultraschnellen Umlagerung von aktiven Valenzelektronen mittels einer Röntgenkamera nicht möglich ist.

Die in Nature Communications veröffentlichte Arbeit schlägt einen Weg vor diese Herausforderung zu lösen. Wir demonstrieren theoretisch eine robuste und effektive Methode, welche es ermöglicht Informationen über chemisch aktive Valenzelektronen aus den Röntgenstreubildern eines einzelnen Moleküls zu extrahieren - ein entscheidender Schritt bei dem Bestreben die Bildung und den Bruch von chemischen Bindungen in Echtzeit mit atomarer Ortsauflösung aufzunehmen. Unsere Arbeit zeigt wie die Bewegung von chemisch aktiven Valenzelektronen durch eine Kombination der routinemäßigen Analyse von Röntgenstreubildern mit der zusätzlichen Analyse jenes Bereichs der Streubilder, welcher auf einen relativ kleinen Impulstransfer beschränkt ist, sichtbar gemacht werden kann.

Die Arbeit zeigt nicht nur wie chemisch aktive Valenzelektronen mit Röntgenstrahlung aufgenommen werden können, sondern sie liefert auch experimentellen Zugang zu dem viel diskutierten Problem von synchroner gegen asynchrone Bindungsbildung und Bindungsbruch in chemischen Reaktionen. Die ultraschnelle Röntgenkamera bestätigt, dass die Antwort davon abhängt, ob die Atome genügend Energie haben, um die Energiebarriere, welche Reaktanden von Produkten trennt, zu überqueren, oder ob die Atome auf das Quantenphänomen des Tunnels durch die Energiebarriere zurückgreifen müssen. Im ersten Fall bestätigen wir eine Verzögerungszeit zwischen dem Bruch von alten und der Bildung von neuen Bindungen. Im zweiten Fall beobachten wir keine Verzögerung: Der Bruch der alten und die Bildung der neuen Bindungen ist synchron. Wir hoffen, dass unsere Arbeit neue Einblicke in die Initialisierung und Kontrolle von komplexen chemischen und biologischen Reaktionen bringen wird.

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