Kristallschichten unter Druck

Forscher verfolgen Entstehung komplexer Strukturen bei bis zum 560.000-Fachen des atmosphärischen Drucks

29.05.2015 - Deutschland

Mit DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III haben Forscher zum ersten Mal beobachtet, wie sich bestimmte Kristallschichten unter hohem Druck verformen und komplexe innere Strukturen bilden. Die Untersuchung unter Leitung von Prof. Sander van Smaalen von der Universität Bayreuth bietet neue Einblicke in das komplizierte Verhalten sogenannter Schichtkristalle, wie sie für verschiedene Anwendungen infrage kommen. Die Forscher präsentieren ihre Beobachtungen im Fachblatt „Scientific Reports“.

Maxim Bykov/Universität Bayreuth

Schematischer Ablauf der Phasenumwandlung unter Druck: Die Chloratome versuchen unter Hochdruck, einen günstigeren Abstand einzunehmen. Dadurch wölbt sich die Schicht (rechts).

Maxim Bykov/Universität Bayreuth

Ein Teil der incommensurabel-modulierten Kristallstruktur von CrOCl bei 30,3 Gigapascal.

Maxim Bykov/Universität Bayreuth
Maxim Bykov/Universität Bayreuth

„Die Eigenschaften von Festkörpern mit einer schichtartigen Kristallstruktur sind von großem Interesse“, erläutert der Erstautor der Studie, Maxim Bykov aus der Gruppe von van Smaalen. „Sie werden etwa als spezielle Schmierstoffe verwendet und sind auch die Grundlage für physikalische Phänomene wie Supraleitung, Ladungsdichtewellen und topologische Isolatoren.“ Diese Materialien bestehen aus Schichten der jeweiligen chemischen Verbindung, die durch schwache Van-der-Waals-Kräfte zusammengehalten werden. „Durch äußeren Druck lässt sich sowohl die innere Struktur solcher Festkörper verändern, als auch untersuchen, wie sich die Kräfte innerhalb der Schichten und zwischen ihnen verändern“, sagt Bykov.

Das Team untersuchte eine Schichtverbindung aus Chrom (Cr), Sauerstoff (O) und Chlor (Cl). Dieses Chrom-Oxychlorid (CrOCl) steht stellvertretend für eine ganze Gruppe ähnlicher Verbindungen (Oxychloride), bei denen das Chrom jeweils durch ein anderes Metall ersetzt ist. Die Forscher platzierten winzige, wenige Mikrometer (tausendstel Millimeter) messende CrOCl-Einkristalle in eine Diamantstempelzelle, mit der sich kleine Proben unter gewaltigen Druck setzen lassen. In der Stempelzelle ließen die Wissenschaftler bis zum 560.000-Fachen des normalen Luftdrucks (56 Gigapascal; GPa) auf die Probe einwirken. Mit dem extrem hellen Röntgenlicht von PETRA III konnten sie dabei verfolgen, wie sich die innere Struktur des Materials durch den Druck veränderte.

„Jahrzehntelang hat man gedacht, dass die innere Struktur eines Materials einfacher wird, je höher der Druck steigt“, erläutert Ko-Autor Dr. Hanns-Peter Liermann, Leiter der DESY-Messstation P02, an der die Versuche unter anderem stattfanden. „Vor ungefähr 15 Jahren stellte sich dann heraus, dass dies nicht immer der Fall ist: Bei manchen chemischen Elementen werden die zunächst einfachen Kristallstrukturen unter Druck überraschenderweise komplexer.“ Bei Verbindungen mehrerer Elemente wie CrOCl ist dieser Effekt allerdings noch nicht sehr gut belegt.

„Im Chrom-Oxychlorid haben wir bei einem Druck oberhalb von 150.000 Atmosphären eine strukturelle Phasenumwandlung entdeckt, die zu einer aperiodischen, modulierten Struktur führt“, berichtet Ko-Autor Prof. Leonid Dubrovinsky von der Universität Bayreuth. „Dieser eigentümliche Zustand zeigt alle typischen Eigenschaften eines kristallinen Materials, aber es fehlt ihm die Periodizität, die man in normalen Kristallen findet.“ Es ist das erste Mal, dass Forscher eine solche sogenannte inkommensurable Hochdruckphase eines komplexen Festkörpers im Detail beschreiben.

„Bei hohem Druck wird die elektromagnetische Abstoßung zwischen den Chloratomen benachbarter Schichten ebenso bedeutend wie die Atombindungen innerhalb dieser Schichten“, erläutert van Smaalen. „Das Chrom-Oxychlorid versucht, eine unter diesen widerstrebenden Kräften optimale Struktur zu finden, und dadurch wölben sich die Chrom-Sauerstoff-Schichten.“ Die Wissenschaftler beobachteten die Entwicklung der inneren Struktur des Materials unter weiter zunehmendem Druck und stellten fest, dass es sich bei 51 Gigapascal (510.000 Atmosphären) noch einmal reorganisiert und eine einfache periodische Struktur annimmt. „Die Einkristall-Röntgenbeugung mit einer Quelle wie PETRA III hat uns erstmals ermöglicht, die Evolution einer inkommensurablen Kristallstruktur in Abhängigkeit vom Druck zu beschreiben“, betont van Smaalen.

„Ein ähnliches Hochdruck-Verhalten lässt sich bei einer breiten Palette von Materialien erwarten, die unter Normalbedingungen eine Mischung aus starken und schwachen chemischen Bindungen besitzen“, erläutert Bykov. „Ein besseres Verständnis dieses Verhaltens liefert uns nicht nur neue Einblicke in das Phänomen der inkommensurablen Phasen. Es kann uns ebenso ermöglichen, die Eigenschaften vielversprechender neuer Materialien für verschiedene Anwendungen genau abzustimmen.“

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