Elektronen bilden Tümpel in keramischen Supraleitern
Röntgenuntersuchung verbessert Verständnis von Hochtemperatur-Supraleitern
Alessandro Ricci/DESY
Supraleiter sind Materialien, die elektrischen Strom völlig verlustfrei leiten können. Diese Eigenschaft macht sie grundsätzlich für ein breites Spektrum von Anwendungen interessant. Allerdings müssen klassische Supraleiter bis auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt bei minus 273,15 Grad Celsius tiefgekühlt werden, um ihre Eigenschaften zu entfalten. Das begrenzt die Anwendung gegenwärtig auf wenige Spezialfälle. Vor rund 30 Jahren stellte sich jedoch heraus, dass bestimmte keramische Materialien bei deutlich höheren Temperaturen supraleitend werden. Trotz ihres Namens müssen auch diese Hochtemperatur-Supraleiter tiefgekühlt werden, allerdings nicht so stark wie klassische Supraleiter. Manche Kupferoxid-Materialien, sogenannte Kuprate, werden beispielsweise bei rund minus 170 Grad supraleitend.
Solche Hochtemperatur-Supraleiter funktionieren allerdings anders als klassische, der genaue Mechanismus ist nicht im Detail geklärt. Ein besseres Verständnis dieses Phänomens könnte die Entwicklung eines Supraleiters befördern, der bei Zimmertemperatur funktioniert. Um die mikroskopische Struktur des Hochtemperatur-Kuprat-Supraleiters HgBa2CuO4+y aufzuklären, nutzte das Forscherteam helles Röntgenlicht an DESYs Synchrotron DORIS (Beamline BW5), am italienischen Synchrotron Elettra und an der europäischen Synchrotronstrahlungsquelle ESRF. Dabei nutzten sie eine spezielle Röntgenbeugungstechnik, die sogenannte Röntgenrastermikrodiffraktion, die erlaubt, mikroskopische Ansammlungen von Elektronen in kleinen kristallinen Domänen zu untersuchen.
In konventionellen Materialien wie Metallen und Halbleitern bewegen sich die Elektronen als Träger des elektrischen Stroms homogen, wie eine Flüssigkeit, die sich gleichmäßig in einem Kanal ausbreitet. Viele Jahrzehnte lang galt die Annahme, dass auch die Supraleitung als homogene Ordnung im Material auftritt. In dem untersuchten Kuprat-Supraleiter beginnen die Elektronen jedoch schon bei minus 20 Grad, Tümpel zu formen. „Wir haben entdeckt, dass die Größe dieser Tümpel stark variiert, wie die Bruchstücke eines geschmolzenen Eisbergs oder wie die Dampfblasen in einem kochenden Wassertopf“, erläutert Ricci. Die Tümpel haben den Messungen zufolge im Mittel einen Durchmesser von 4 Nanometern, die Forscher entdeckten jedoch auch bis zu 40 Nanometer große Elektronentümpel. Ein Nanometer ist ein millionstel Millimeter. Die Größenverteilung lässt sich dabei mathematisch durch ein Potenzgesetz beschreiben, was typisch ist für selbstorganisierende Systeme.
Die Forscher konnten zeigen, dass die Tümpel im gesamten Material vorkommen , aber einen Zwischenraum frei lassen. Allerdings wandern nicht alle Elektronen in die Tümpel. Der elektrische Strom wird in Supraleitern von Elektronenpaaren transportiert, und diese müssen sich zwischen den Tümpeln hindurch bewegen. Der Raum zwischen den Tümpeln lässt sich den Wissenschaftlern zufolge durch eine spezielle Geometrie beschreiben: Während unsere Alltagswelt den Regeln der euklidischen Geometrie folgt, besitzt der Tümpelzwischenraum eine sogenannte hyperbolischen Geometrie, wie Ricci erläutert. „Diese Ergebnisse eröffnen neue Wege für das gezielte Design von supraleitenden Materialien und könnten auf diese Weise die Suche nach einem Zimmertemperatur-Supraleiter voranbringen.“
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