Selbstlernende Software für bessere medizinische Diagnosen

Computer erkennt verdächtige Abweichungen in medizinischen Bilddaten

04.02.2016 - Deutschland

MRT, CT, Pathologie – Ärzte müssen immer mehr und immer komplexere medizinische Bilddaten berücksichtigen, um Diagnosen zu stellen und Therapien zu überwachen. Eine effektive Unterstützung soll ein neuer Ansatz bieten, an dem das Fraunhofer-Institut für Bildgestützte Medizin MEVIS in Bremen arbeitet: Beim kürzlich gestarteten Projekt AMI (Automation in Medical Imaging) sollen selbstlernende Computeralgorithmen die Datenfluten automatisch durchforsten und nach Auffälligkeiten suchen, um dadurch künftig die Treffsicherheit von computergenerierten Diagnosen zu steigern. Projektpartner ist die niederländische Radboud-Universität Nijmegen mit einer der weltweit führenden Forschergruppen für automatische Bildauswertung.

Fraunhofer-Institut für Bildgestützte Medizin MEVIS

Deep-Learning-Algorithmen finden selbständig interessante Stellen in neuen digitalen Bildern von Gewebeproben, auf Basis einer automatischen Analyse. Beginnend mit der höchsten Auflösungsstufe verdichten diese neuronalen Netze Daten, bis Informationen und Bildinterpretationen entstehen. Diese wiederum helfen Ärzten, Diagnosen schneller und sicherer zu treffen. Korrigieren die Mediziner die Computerdiagnose, kann dies neue Wissen in den selbstlernenden Algorithmus einfließen.

„Diese sogenannten Deep Learning Algorithmen können ihre Stärken vor allem dann ausspielen, wenn riesige Datenmengen zu bewältigen sind“, sagt MEVIS-Forscher Markus Harz. Solche Datenfluten fallen etwa an, wenn Hochrisikopatienten über längere Zeiträume immer wieder durchleuchtet werden müssen. Bei der Analyse geht es darum, feinste Unterschiede zwischen neueren und älteren Aufnahmen zu erkennen, um zum Beispiel Tumoren im Frühstadium aufzuspüren.

„Nicht selten verraten sich solche Unterschiede durch leicht veränderte Grauwerte in den Aufnahmen“, erläutert Harz. „Solche Veränderungen von Form, Grauwert oder Textur können Rechner hervorragend unterscheiden. Ein Computer kann sogar selbst herausfinden, welche der Veränderungen entscheidend sind.“ So könnte er all jene Fälle aussortieren, bei denen sich keine Unterschiede zwischen älteren und neuen Aufnahmen zeigen. Der Arzt bräuchte sich dann nur noch mit jenen Fällen zu befassen, auf denen potenziell verdächtige Veränderungen zu sehen sind.

Überall auf der Welt sind Expertenteams dabei, vielversprechende Computeralgorithmen zur automatischen Bilderkennung und Diagnose zu entwickeln. Doch viele dieser Projekte laufen Gefahr, im Forschungsstadium zu enden – häufig ist die Zulassung der Genehmigungsbehörden schwer zu erlangen. „Hierfür muss man natürlich beweisen, dass die neuen Methoden zuverlässig sind und weniger Fehler als bisher machen“, erläutert Harz. „Mit dem AMI-Projekt wollen wir einige Lücken auf dem Weg zur Zulassung schließen und Computeralgorithmen entwickeln, die sich deutlich leichter zertifizieren lassen.“  

Um zu prüfen, wie leistungsfähig ihre selbstlernenden Programme sind, wollen die Forscher sie kontinuierlich mit realen medizinischen Daten abgleichen. Diese Daten kommen von der Klinik in Nijmegen und demnächst auch von Kliniken aus der ganzen Welt, wo sie die Ärzte mit maschinenlesbaren Anmerkungen zu wichtigen diagnostischen Details versehen. Anhand dieser Anmerkungen können die Software-Entwickler überprüfen, wie sicher und genau ihre Programme bei der Analyse der medizinischen Bilddaten sind. Anschließend können die Forscher diese Programme in die Arbeitsabläufe der Ärzte integrieren und feststellen, an welchen Stellen die Automatisierung hilfreich ist und an welchen nicht. „Durch diese enge Verzahnung von Medizinern und Entwicklern wollen wir zuverlässige und leistungsfähige Programme entwickeln, die bei den Ärzten auf eine hohe Akzeptanz stoßen“, sagt Harz. „Und je mehr die Computer lernen, eigenständig zu entscheiden, desto wichtiger ist es, effiziente Schnittstellen mit dem Menschen zu entwickeln.“

Das AMI-Team will den neuen Ansatz anhand dreier konkreter Beispiele entwickeln:

  • Krebsfrüherkennung bei Risikopatienten: Menschen, die beispielsweise ein erhöhtes Risiko haben, an Lungenkrebs zu erkranken, werden regelmäßig untersucht, etwa durch einen jährlichen CT-Scan der Lunge. Automatische Algorithmen sollen Aufnahmen aus verschiedenen Jahren vergleichen und nach verdächtigen Gewebeveränderungen suchen. Die Projektpartner aus Nijmegen haben bereits eine Software entwickelt. Bei AMI soll sie verfeinert werden, um Lungen- und andere Tumorarten automatisch zu vermessen und so den Therapieerfolg besser verfolgen zu können.
  • Augenheilkunde: Die häufigsten Erkrankungen der Netzhaut können nur effektiv geheilt werden, wenn die Therapie eng überwacht wird. Dazu werden die Patienten regelmäßig mit verschiedenen Bildmodalitäten wie zum Beispiel Laserscans untersucht, wobei enorme Datenmengen anfallen. Mittels modernster Mustererkennungsmethoden soll der Computer die Bilder analysieren, Veränderungen erkennen und präzise vermessen. Ferner wollen die Experten in den Aufnahmen verschiedener bildgebender Verfahren die Indikatoren für weitere Krankheitsbilder identifizieren. Das Ziel: der erste multimodale Augenheilkunde-Computerarbeitsplatz.
  • Digitale Pathologie: Bei Tumorpatienten hilft die mikroskopische Analyse von Gewebeschnitten der regionalen Lymphknoten dabei, die erfolgversprechendste Therapie zu wählen. Finden sich winzige Metastasen in den Gewebeproben, ist das ein Hinweis auf schlechtere Heilungschancen. Der Computer soll die digitalisierten, hochaufgelösten Gewebeschnitte analysieren und kleinste Mikrometastasen aufspüren.

„Bei allen drei Anwendungsfällen wollen wir erreichen, dass der Computer technisch im Stande ist, eine diagnostische Entscheidung alleine zu treffen.“, erläutert Markus Harz. „Der Arzt erhält aber immer einen Report, mit dem er die Entscheidungsfindung detailliert nachvollziehen und gegebenenfalls korrigieren kann.“ Die Ziele von AMI: Die Forscher wollen einen Prozess schaffen, der die Entwicklung selbstlernender Programme entscheidend vereinfacht. Und: Die im Projekt entwickelten Softwarekomponenten sollen sich leicht und unkompliziert in die gängigen Softwaresysteme der Medizintechnik einbauen lassen.

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