Der Röntgenblick ins Kleinhirn
University of Basel, Department of Biomedical Engineering
Der Mensch besteht aus tausendmal mehr Zellen als die Milchstrasse Sterne besitzt. Es ist deshalb eine grosse Herausforderung, auch nur einen Teil des menschlichen Gehirns in seiner dreidimensionalen zellulären Struktur quantitativ zu erfassen.
Durch die Anwendung einer neuartigen Röntgentechnik und der Entwicklung spezifischer mathematischer Filter ist es Dr. Simone Hieber und Prof. Bert Müller vom Department of Biomedical Engineering der Universität Basel gelungen, solche Strukturen zu visualisieren und bestimmte Nervenzellen im Kleinhirn, die Purkinjezellen, automatisch im Gewebe aufzuspüren.
Bildgebung durch Phasenkontrast
Für die vorliegende Studie durchleuchteten die Forscher eine rund 40 Kubikmillimeter grosse Gewebeprobe eines menschlichen Hirns mit Synchrotronstrahlung und ermittelten den Phasenschub der Röntgenstrahlung. Dieses Phasenkontrast-Verfahren liefert den besseren Kontrast als die herkömmliche Röntgentechnik, die auf der – je nach Gewebe unterschiedlichen – Schwächung der Röntgenstrahlung beruht. Die Pixelgrösse lag dabei zwischen 1,75 und 0,45 Mikrometern – hundertmal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haars.
Im anschliessend berechneten dreidimensionalen tomographischen Datensatz lassen sich nicht nur einzelne Purkinjezellen, sondern auch ihr stark verästelten Dendritenbaum und die im Zellkern gelegenen Kernkörperchen (Nukleoli) klar erkennen.
Automatische Erkennung der Zellen
Da eine manuelle Analyse der riesigen Datenmenge kaum zu leisten wäre, erfolgte die automatische Identifizierung der Purkinjezellen mit einem eigens entwickelten Segmentierungsalgorithmus, der die Nervenzellen an ihrer charakteristischen Geometrie erkennt. So konnten die Forscher Tausende Purkinjezellen identifizieren und ihre Oberflächendichte mit unerreichter Genauigkeit bestimmen, was Rückschlüsse auf das Alter und den Gesundheitszustand des Menschen vor seinem Tod erlaubt.
Die Überprüfung der Ergebnisse erfolgte anhand histologischer Schnitte, die nach der zerstörungsfreien Tomographie der Probe angefertigt wurden.
Hochaufgelöstes Bild der Gewebestrukturen
Ein detaillierter Einblick in die zelluläre Struktur des Kleinhirns ermöglicht es beispielsweise, seine Funktion für die Motorik, Koordination und Regulierung des Gleichgewichts besser zu verstehen. Zudem lassen sich durch die dreidimensionale Visualisierung krankhafte Veränderungen der Zellen und ihrer Dichte erkennen, wie sie bei einer Kleinhirndegeneration, beim Cockayne-Syndrom und bei Alkoholismus auftreten. In Kombination mit entsprechender Software könnte dieses Verfahren dereinst zum besseren Verständnis und zur Eindämmung von neurodegenerativen Erkrankungen beitragen.
Originalveröffentlichung
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