Potenziale von Werkstoffen besser ausnutzen: Anrissüberwachung in Bauteilen

20.09.2016 - Deutschland

Häufig sind an Bauteilen konstruktionsbedingte Kerben vorhanden. Unter Betriebsbelastung können sich daraus Risse entwickeln. Wachsen Anrisse plötzlich mit einer hohen Geschwindigkeit, versagen technische Produkte schlagartig - höchst unerwünscht insbesondere bei sicherheitsrelevanten Bauteilen. Das Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF hat eine neue Methode entwickelt, um bei Schwingfestigkeitsversuchen das Anriss- und Risswachstumsverhalten von Probenkörpern und Bauteilen aus metallischen und polymeren Werkstoffen zu bestimmen. So lassen sich Leichtbau- und Werkstoffpotenziale besser auszunutzen.

Schwingungen im Allgemeinen und Schwingfestigkeitsversuche im Besonderen bilden einen Tätigkeits- und Forschungsschwerpunkt im Fraunhofer LBF. Um das Leistungsangebot bei Schwingfestigkeitsuntersuchungen zu erweitern, haben die Wissenschaftler eine neue Methode zur Ermittlung der Rissausbreitung während der schwingenden Beanspruchung in Bauteilen und Proben entwickelt. Diese kann mit wenig Mehraufwand bei typischen Schwingfestigkeitsversuchen appliziert werden. Mit dieser Methode können die Wissenschaftler schnell identifizieren, bei welcher Schwingspielzahl ein makroskopischer Anriss auftritt und wie schnell das Risswachstum voranschreitet. Darüber lassen sich an komplexen Bauteilen verlässliche Aussagen über den Ort der Schadeninitiierung und die Schädigungsmechanismen ermitteln, die anschließend in einer Schwingfestigkeitsbewertung berücksichtigt werden können.

Die Anwendungsgebiete der Methode sind vielfältig. Sie wurde bis jetzt erfolgreich an kurzglasfaserverstärkten Thermoplasten sowie Schweiß- und Lötverbindungen angewandt. Insbesondere an Faserverbunden ist das Versagensverhalten komplex, aber für die Bauteilbewertung von hoher Wichtigkeit. Dort kann die Methode zur Untersuchung von Delaminationsvorgängen verwendet werden. Während der zyklischen Prüfung stoppten die Forscher die Schwingfestigkeitsversuche nach einer bestimmten Anzahl von Lastwechseln und fotografierten den augenblicklichen Zustand der Probe mit einer hochauflösenden Kamera unter optimierter Ausleuchtung. Auf diese Weise konnten sie den betroffenen Bereich detailliert überwachen. Die zahlreichen, aufeinander folgenden Aufnahmen ließen sich zu einer Bildreihe zusammensetzen, die den Verlauf der Rissentwicklung film-ähnlich wiedergibt. Den Versuchsaufbau hat das Fraunhofer LBF so gestaltet, dass die Anrissüberwachung vollautomatisch online von statten geht.

Risslängen in Werkstoffen mit Bildverarbeitungsprogrammen ermittelt

Neuartig für Kunststoffe ist, dass die Darmstädter Forscher mit Hilfe von Bildverarbeitungsprogrammen die aufgetretenen Risslängen in Abhängigkeit der Schwingspiele ermitteln konnten. Daraus konnten die Risswachstumsgeschwindigkeit und die Spannungsintensität ermittelt werden, die anzeigen, ab wann vorhandene Risse kritisch anwachsen. Bei der Verwendung dieser Kennwerte in einer industriellen Anwendung lassen sich Wartungsintervalle besser steuern (Maintenance-on-demand) und die Restlebensdauer exakter bestimmen. Auch an Bauteilen mit komplexem Versagensverhalten konnte das System durch die Überwachung der hochbelasteten Bereiche den Ort der Rissinitiierung und das Risswachstum bestimmen.

Anrissüberwachung erhöht Sicherheit und Zuverlässigkeit

Fazit der LBF-Wissenschaftler: Die Anrissüberwachung bei Betriebsfestigkeitsversuchen ermöglicht es, das Versagensverhalten genau zu detektieren. Damit ist es möglich, mit nur geringem Mehraufwand einen signifikanten Mehrwert zu generieren, mit dem letztendlich die Bauteilsicherheit und die Zuverlässigkeit erhöht werden kann. So konnten sie herausfinden, dass bei gekerbten Proben aus kurzglasfaserverstärktem Thermoplast die Anrissschwingspielzahl bei rund der halben Bruchschwingspielzahl liegt. Gleichzeitig kann bei der Berücksichtigung des Anrissverhaltens bei der Bauteilauslegung das Leichtbaupotenzial der Werkstoffe besser ausgenutzt werden.

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