Schnellere Diagnose von Sepsiserregern

08.11.2016 - Deutschland

Mikrobielle Krankheitserreger lassen sich durch Hochdurchsatzsequenzierung ihres Erbguts und spezielle bioinformatische Auswertungsalgorithmen eindeutig innerhalb von nur 24 Stunden diagnostizieren. Dies haben Fraunhofer-Forscher in einer klinischen Studie mit Sepsispatienten gezeigt.

Fraunhofer IGB

Mit modernen DNA-Sequenzierungstechnologien diagnostiziert das Fraunhofer IGB Sepsiserreger zuverlässig und innerhalb kürzester Zeit.

Schätzungen zufolge erkranken allein in Deutschland pro Jahr etwa 150.000 Menschen an einer Sepsis; allen medizinischen Fortschritten zum Trotz sterben immer noch zwischen 30 und 50 Prozent der Patienten an den Folgen der »Blutvergiftung«. Einer der Gründe: Für die lebensrettende Therapie mit Antibiotika, die spezifisch nur den ursächlichen Erreger bekämpfen, kommt die Diagnose oft zu spät. Denn die Sepsiserreger werden in aller Regel über sogenannte Blutkulturen nachgewiesen, bei der die Keime aus Blutproben der Patienten im Labor kultiviert werden. Bis sich die Erreger vermehrt haben und ein Ergebnis vorliegt, verstreichen zwei bis fünf Tage.

Dank rasanter Fortschritte in der Nukleinsäureanalytik kann mit heute verfügbaren Hochdurchsatztechnologien, dem Next-Generation Sequencing (NGS), das komplette Genom von Organismen innerhalb nur weniger Stunden sequenziert und mit bekannten Gensequenzen abgeglichen werden.

Forscher am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB haben auf der Grundlage dieser Technologien eine alternative Diagnoseplattform für Sepsis entwickelt. Dabei identifizieren sie Bakterien, Pilze oder Viren direkt über eine Sequenzanalyse ihres Erbguts (DNA) – ohne die Erreger zuvor im Labor kultivieren zu müssen. In einer klinischen Studie, welche die Wissenschaftler in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Heidelberg durchführten, konnten sie ihr Diagnoseverfahren mit Blutproben von Sepsispatienten nun validieren. Die infektiösen Mikroorganismen wiesen sie dabei durch die Hochdurchsatzsequenzierung von frei im Blut zirkulierender DNA nach (CNAPS, für engl. Circulating Nucleic Acids in Plasma and Serum).

Bakterien, Viren und Pilze gleichzeitig und schnell nachweisen

»Mit unserem Next-Generation-Sequencing-Diagnoseverfahren konnten wir innerhalb von nur 24 Stunden feststellen, mit welchen Erregern die Patienten infiziert waren«, erläutert Dr. Kai Sohn, Leiter der Arbeitsgruppe »Functional Genomics« am Fraunhofer IGB, die Ergebnisse. »Durch die direkte Sequenzierung der DNA einer Blutprobe entfällt der aufwendige Schritt, die Mikroorganismen im Labor zu kultivieren. So können wir auch diejenigen Erreger nachweisen, deren Wachstum unter Laborbedingungen erschwert ist«, beschreibt Sohn.

Ein weiterer Vorteil: Enthalten die Proben nicht nur DNA von Bakterien, sondern auch von Viren oder Pilzen, werden diese ebenso sequenziert, analysiert und identifiziert. »In unserer Studie konnten wir beispielsweise einen viralen Erreger als Krankheitserreger eines Patienten identifizieren. Die Blutkultur des Patienten zeigte dagegen ein negatives Ergebnis, weil hier nur Bakterien erfasst werden können«, erklärt der Wissenschaftler.

Zugleich liefert das Verfahren nicht nur qualitative, sondern auch quantitative Ergebnisse. »Anhand der Anzahl der Genomfragmente erkennen wir mit unserer Technologie, welche Erreger sich im Patienten stark vermehrt haben und welche bereits auf die Therapie ansprechen«, erläutert Sohn. Dies ermöglicht dem Arzt, sofort weitere gezielte Therapiemaßnahmen in die Wege zu leiten, anstatt wertvolle Zeit mit einer falschen Medikation verstreichen zu lassen.

Bioinformatische Algorithmen identifizieren relevante Erreger

Über 99 Prozent der im Blutplasma frei zirkulierenden DNA sind menschlichen Ursprungs – die Identifizierung der Sepsiserreger gleicht somit der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Die Forscher setzen daher spezielle Softwareprogramme ein, um die sequenzierten Fragmente mit einer Genom-Datenbank, in die sie öffentlich verfügbare DNA-Sequenzen von Bakterien, Pilzen und Viren eingespeist haben, abzugleichen.

Doch nicht jeder identifizierte Mikroorganismus ist zwangsläufig auch Verursacher der Sepsis. Eine der größten Herausforderungen bei der Auswertung der Daten ist es daher abzuschätzen, ob der durch die Sequenzierung erhaltene Befund von dem statistisch zu erwartenden Befund abweicht. Um diese entscheidende Frage beantworten zu können, entwickelte Philip Stevens, der Bioinformatiker im Team, in seiner Doktorarbeit am Center for Integrative Bioinformatics Vienna (CIBIV) und am Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie (IGVP) der Universität Stuttgart einen speziellen Algorithmus.

Das zum Patent angemeldete Herzstück des Diagnoseverfahrens vergleicht die Sequenzierungsergebnisse mit sequenzierten Fragmenten aus dem Blut gesunder Probanden. »Der Algorithmus liefert uns so einen Punktwert, mit dem wir die Signifikanz der Daten beurteilen und das mikrobielle Grundrauschen, also harmlose Bakterien unserer Haut- oder Darmflora, als diagnoserelevante Erreger ausschließen können«, erläutert Stevens. Die klinische Studie zeigte, dass die berechneten Diagnosen mit denen der Blutkultur sehr gut korrelierten.

Nachweis von Antibiotikaresistenzen

Die Resistenz von Bakterien gegenüber gebräuchlichen Antibiotika wie Methicillin, Vancomycin oder Tetracyclin wird über entsprechende Resistenzgene vermittelt. »Die Hochdurchsatzsequenzierung erlaubt es daher, in der gleichen Analyse nicht nur die biologische Art des Erregers, sondern auch seine Resistenzgene zu identifizieren und bei der Auswahl der Therapie zu berücksichtigen«, ergänzt Sohn.

Weiterentwicklung

Um die Zeit bis zur Diagnose weiter zu verkürzen, untersuchen die Wissenschaftler, wie das Verfahren auf neuere Sequenzierplattformen übertragen werden kann. Mit der Nanoporen-Sequenzierung beispielsweise, die sich momentan in der Erprobungsphase befindet, kann DNA in noch kürzerer Zeit als bisher sequenziert werden. Damit würde zukünftig die spezifische Diagnose von Infektionen innerhalb eines Zeitraums von sechs bis acht Stunden möglich. Für das Jahr 2017 planen die Fraunhofer-Wissenschaftler zudem eine multizentrische Validierungsstudie mit renommierten klinischen Partnern.

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