Die Stabilität komplexer Legierungen schneller bestimmen
© RUB, Marquard
Entwicklung neuer Höchstleistungswerkstoffe
Die Methode eignet sich insbesondere für sogenannte Hochentropie-Legierungen, die seit einiger Zeit intensiv erforscht werden. Im Gegensatz zu herkömmlichen Legierungen bestehen diese nicht aus einem Hauptelement und wenigen weiteren Elementen in geringer Konzentration, sondern aus einer gleichwertigen Mischung mehrerer Elemente.
„Diese Legierungen stellen einen neuen Suchraum für Werkstoffe dar. Es gibt fast unendlich viele mögliche Materialkombinationen und daher gute Chancen, Werkstoffe zu entdecken, die bisherige Materialien in bestimmten Eigenschaften übertreffen könnten“, sagt Ludwig. Entscheidend sei jedoch, dass die Legierungen auch bei thermischen oder chemischen Belastungen, wie sie in Anwendungen auftreten, zusammenhalten und nicht unerwünscht in ihre verschiedenen Bestandteile zerfallen. „Daher ist die Methode so wichtig“, ergänzt Ludwig. „Mit ihr können Legierungskandidaten schnell getestet werden, und zwar auf atomarer Skala.“
Kombination von Verfahren entscheidend
Bevor ein neu konzipierter Werkstoff in die Anwendung kommen kann, muss er auf viele verschiedene Parameter getestet werden, etwa ob er hohen Temperaturen standhält oder wie oxidationsanfällig er ist. Um diese Tests möglichst schnell durchführen zu können, kombinierten die Bochumer Gruppen mehrere Verfahren.
Sie trugen die komplexe Legierung als wenige Nanometer dünne Schicht auf 36 mikroskopisch kleine Spitzen auf. Dazu nutzten sie ein Sputterverfahren, mit dem sie fünf Metalle gleichzeitig in einem speziellen Mischungsverhältnis auf den Spitzen abschieden. In den so aufgetragenen Schichten können Reaktionen zwischen den Metallen sehr schnell ablaufen. Die Autoren bezeichnen das System als kombinatorische Prozessierungsplattform.
Millionen von Atomen sichtbar machen
Die einzelnen Spitzen unterzogen die Forscher nacheinander unterschiedlichen Belastungen und charakterisierten nach jeder Belastung mit der Atomsondentomografie die Zusammensetzung der Schicht. Die Technik erlaubt, viele Millionen Atome und deren dreidimensionale Anordnung sichtbar zu machen und zwischen verschiedenen Elementen zu unterscheiden.
Die Analyse mit der Atomsonde zerstört die Probe an der untersuchten Stelle; mit jeder Messung verbraucht sich also mindestens eine beschichtete Spitze auf der Platte. Da aber insgesamt 36 identische Spitzen zur Verfügung standen, konnten die Wissenschaftlerin und die Wissenschaftler viele Tests hintereinander absolvieren.
Verschiedene Eigenschaften können getestet werden
So erhitzten sie die Probe zum Beispiel im ersten Schritt auf eine bestimmte Temperatur, testeten dann mit der Atomsonde die dadurch ausgelösten Effekte in der Legierung, erhitzten anschließend auf eine höhere Temperatur, testeten wieder die Legierung und so weiter. „Auf diese Weise können wir zum Beispiel sehr schnell sagen, dass die untersuchte Legierung ab 300 Grad Celsius in mehrere unterschiedliche Phasen zerfällt“, sagt Ludwig. „Wir könnten so aber auch die Oxidationsanfälligkeit oder die Reaktion in verschiedenen Umgebungsmedien überprüfen.“ Aus den umfangreichen Messdaten und neuen Visualisierungsansätzen für diese Daten lässt sich ein besseres Verständnis der Phasenevolution in komplexen Legierungen schneller gewinnen.