Bioinformatik erschließt neue Strategien gegen Krebs
Saarbrücker Forscherteam entwickelt Vorhersagemodell für epigenetische Veränderungen der DNA
Nach dem klassischen Verständnis von Krebs können Veränderungen unseres Erbgutes zur Bildung von Tumoren führen. Veränderungen können etwa sein: das Austauschen, Löschen oder Vervielfältigen von einzelnen DNA-Bausteinen bis hin zu ganzen Erbgut-Abschnitten auf den Chromosomen. Da diese Schäden unumkehrbar sind, zielen chirurgische Operationen und Chemotherapie darauf ab, bei einem Patienten alle Krebszellen zu entfernen oder zu zerstören. Doch leider sind genetische Veränderungen oft erst in einem sehr späten Stadium der Krankheit feststellbar, was eine wirksame Therapie stark erschwert.
Um bessere Behandlungsmethoden gegen Krebs zu entwickeln, wählten die Saarbrücker Wissenschaftler deshalb einen neuen Ansatz: die Epigenetik. Dieses Forschungsgebiet beruht auf der Erkenntnis, dass es im Erbgut vererbbare Modifikationen gibt, die nicht mit der Veränderung der DNA-Sequenz, also der Abfolge der DNA-Bausteine einhergehen. Eine solche Modifikation ist beispielsweise das Anhängen von Methylgruppen an DNA-Bausteine.
Epigenetische Modifikationen von Krebszellen sind prinzipiell umkehrbar. Deshalb sollte es möglich sein, Tumore mit neuen Medikamenten in einen harmlosen Zustand zurückzuverwandeln, anstatt sie abzutöten oder zu entfernen. Mehrere Labore und Pharma-Unternehmen haben bereits erste Schritte zur Entwicklung von epigenetischen Krebs-Medikamenten unternommen. Diese Medikamente wirken, indem sie die DNA-Methylierung von Krebszellen verändern. Dabei machen sie nicht nur die epigenetischen Veränderungen in den Tumorzellen rückgängig, sondern sie beeinflussen auch die natürliche DNA-Methylierung, die für eine normale Zellentwicklung notwendig ist. Deshalb haben epigenetische Medikamente bisher ebenfalls schwere Nebenwirkungen und können - wie auch die klassische Chemotherapie - zu Schäden bei späteren Nachkommen der Patienten führen.
Ziel der Forscherguppe am Zentrum für Bioinformatik Saar ist es, DNA-Methylierungsmuster im menschlichen Erbgut besser zu verstehen. Wenn sie dieses Rätsel lösen könnten, ließen sich möglicherweise Medikamente "maßschneidern", die sich durch deutlich geringere Nebenwirkungen auszeichnen. Im ersten Schritt entwickelte Christoph Bock aus der Abteilung von Prof. Thomas Lengauer am Max-Planck-Institut für Informatik eine Software, mit der man experimentell ermittelte DNA-Methylierungsdaten auf ihre Richtigkeit überprüfen kann. In Kooperation mit dem Team um Prof. Jörn Walter an der Universität des Saarlandes wurde die Praxistauglichkeit dieser Software nachgewiesen.
Darauf aufbauend verglichen die Wissenschaftler die DNA-Methylierungsmuster im Blut von gesunden Patienten mit verschiedenen Informationen über das menschliche Erbgut. Dabei entdeckten sie drei Gruppen von Eigenschaften menschlicher DNA, die für eine normale DNA-Methylierung entscheidend sind: die DNA-Sequenz, sich wiederholende DNA-Abschnitte und die dreidimensionale Struktur der DNA.
Dadurch waren die Forscher in der Lage, die Verteilung von Methylgruppen in der DNA mit neunzigprozentiger Genauigkeit vorherzusagen. Denn trotz der Entschlüsselung des menschlichen Genoms stehen den Wissenschaftlern bisher keine genomweiten DNA-Methylierungsdaten zur Verfügung. Daher sind solche Vorhersagen sehr hilfreich, um beispielsweise krebsbedingte Fehlmethylierungen zu untersuchen.
Als nächstes wollen die Saarbrücker Wissenschaftler die Methylierungsmuster von Krebszellen und gesunden Zellen miteinander vergleichen und prüfen, ob sich die für Krebs typischen Muster vorhersagen lassen. Darüber hinaus wollen sie untersuchen, wie sich eine Methylierungsveränderung durch ein epigenetisches Krebsmedikament auf das Genom auswirkt. Aus der Analyse der Veränderungsmuster lassen sich Konzepte für bessere epigenetische Medikamente mit erheblich weniger Nebenwirkungen entwickeln.
Originalveröffentlichung: C. Bock, M. Paulsen, S. Tierling, T. Mikeska, T. Lengauer, J. Walter; "CpG island methylation in human lymphocytes is highly correlated with DNA sequence, repeats, and predicted DNA structure"; PLoS Genetics 2006.
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