Die Macht der Arzneimittelsicherheit freisetzen

17.04.2007

Arzneimittelsicherheit ist für die Pharmaindustrie ein zentrales Thema. Einerseits gibt es kein Medikament, dass garantiert frei von Neben- oder Wechselwirkungen ist, andererseits sind Konsumenten immer weniger dazu bereit, auch nur ein geringes Restrisiko zu tragen. Welche Folgen sich aus diesem Dilemma für die unternehmensinterne Arzneimittelüberwachung ergeben, zeigt die Studie "Unlocking the power of pharmacovigilance - An adaptive approach to an evolving drug safety environment" von PricewaterhouseCoopers (PwC). Die Studie basiert auf Interviews mit 34 Branchen- und Unternehmensexperten für Patientensicherheit und Arzneimittelüberwachung.

Nebenwirkungen gefährden das Vertrauen der Patienten

Die Zahl der in den USA gemeldeten Fälle von Arzneimittelnebenwirkungen ist von 1996 bis 2005 um durchschnittlich zwölf Prozent pro Jahr gestiegen. Dabei sind die Medikamente nicht etwa unsicherer geworden, wie die seit Anfang der 70er Jahre konstant niedrige Rückrufrate belegt. Vielmehr nehmen immer mehr Menschen Medikamente ein, so dass die Zahl der Berichte über Neben- und Wechselwirkungen absolut betrachtet steigt. Zudem sind Patienten und Ärzte beim Thema Arzneimittelsicherheit sensibler geworden, was nicht zuletzt auf die vermehrte Berichterstattung der Medien zurück zu führen ist.

Für die Pharmaindustrie ist diese Entwicklung problematisch. Denn die Häufung von Berichten über Neben- und Wechselwirkungen kann zu einem Vertrauensverlust der Konsumenten, sinkenden Umsätzen und Marktanteilen führen und somit Markenimage und Shareholder-Value bedrohen. Dennoch sind die Investitionen der Unternehmen in die Arzneimittelüberwachung relativ niedrig: Einer Studie zufolge gaben die 20 größten Pharmaunternehmen in den USA im Jahr 2003 gerade einmal 0,3 Prozent ihres Umsatzes für die Kontrolle möglicher Nebenwirkungen nach der Marktzulassung aus. Auf die Finanzierung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten entfiel demgegenüber ein Umsatzanteil von 15,6 Prozent. "Angesichts der hohen Kosten, die mit dem Rückruf eines Medikaments verbunden sein können, sollte die Ressourcenverteilung hier im einzelnen Fall ggf. nochmals überdacht werden", so Volker Booten, verantwortlicher Partner bei PwC für den Bereich Chemicals & Pharma in Deutschland.

Finanz- und Organisationsmängel erschweren Kontrolle

Eine effiziente Arzneimittelüberwachung wird häufig nicht nur durch unzureichende Finanzmittel, sondern auch durch organisatorische Mängel verhindert. In manchen Pharmaunternehmen erschwert die Aufgabenabgrenzung zwischen einzelnen Abteilungen (beispielsweise zwischen Forschung, Marketing, Produktion und Kundenservice) eine effektive Arzneimittelkonrolle. Als sinnvoll hat sich demgegenüber die Einrichtung von ressortübergreifenden Teams erwiesen, die Risikohinweise aus allen Abteilungen objektiv überprüfen und das Gefährdungspotenzial einschätzen. Dazu gehört auch die Implementierung von Entscheidungsmodellen, die fest legen, ab welchem Gefährdungsgrad und in welcher Weise auf mögliche Risiken reagiert werden soll. Schließlich muss gewährleistet sein, dass Erkenntnisse des Kontrollteams alle Abteilungen schnell und zuverlässig erreichen. "Das Teamkonzept funktioniert jedoch nur dann, wenn es einen Verantwortlichen für die Arzneimittelüberwachung insgesamt gibt", betont Volker Booten.

Standardisierte Überwachungsprozesse erleichtern Prüfung

Wichtig ist, dass Unternehmen einheitliche Kriterien und Verfahren bei der Arzneimittelüberwachung für alle Abteilungen und Produktionsstätten festlegen. Wenn Hinweise auf Neben- oder Wechselwirkungen eingehen, müssen diese immer nach dem gleichen Standard überprüft werden. Dabei darf es keine Rolle spielen, um welches Produkt es sich handelt oder aus welchem Land der Bericht stammt. Gibt es keinen standardisierten Prüfprozess, drohen Kontrolldefizite und damit unnötige Risiken.

Nur etwa 10 Prozent aller gravierenden Nebenwirkungen durch Medikamente werden gemeldet: Systematische Datensammlung nötig

Eine funktionierende Arzneimittelüberwachung setzt eine umfassende Datenbasis voraus. In der Praxis tritt allerdings häufig das Problem auf, dass mögliche Nebenwirkungen von den behandelnden Ärzten nicht mit der Einnahme eines bestimmten Medikaments in Verbindung gebracht werden. "Zahlreiche der für die Studie befragten Experten gehen davon aus, dass lediglich zehn Prozent aller Arzneimitteleinnahmen mit gravierenden Nebenwirkungen gemeldet werden", so Booten. Dieses "Underreporting" erschwert die Einschätzung von Nebenwirkungen erheblich. Hinzu kommt, dass für die Arzneimittelsicherheit relevante Patientendaten von vielen verschiedenen Institutionen gespeichert werden und für Pharmaunternehmen oft schwer zugänglich sind. Beispielsweise führen noch immer fast 85 Prozent der Ärzte in den Vereinigten Staaten ihre Patientenakten auf Papier.

Präventives Risikomanagement

Angesichts der erhöhten Sensibilität der Öffentlichkeit für tatsächliche und vermeintliche Defizite bei der Arzneimittelkontrolle sollten Hersteller verstärkt Risiken von sich aus durch konsequente Überprüfung ihrer Daten identifizieren. Zu einem präventiven Risikomanagement gehört zudem ein im Voraus definierter Aktionsplan, der genau fest legt, wie auf bestimmte Risikostufen reagiert werden soll - von Änderungen des Beipackzettels bis hin zum Rückruf eines Medikaments.

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