Krebserkrankungen über die Atemluft erkennen
Atemluftanalyse zur Krankheitsdiagnostik
© Fraunhofer IPMS
Manche Krankheiten kann man riechen. Ein leicht süßlich-fruchtiger Acetongeruch etwa deutet auf Diabetes hin. Bereits im antiken Griechenland berichteten Ärzte, Krankheiten im ausgeatmeten Atem zu erkennen. Die charakteristischen Gerüche entstehen durch spezifische flüchtige organische Verbindungen (VOC). Diese werden durch die erkrankten Gewebe oder die Krankheitserreger selbst freigesetzt, noch bevor Symptome auftreten.
Die Ausatemluft – Fingerabdruck des menschlichen Stoffwechsels
»Bei einer Vielzahl von Erkrankungen verändert sich die Zusammensetzung der flüchtigen organischen Spurengase in der Atemluft, die als Biomarker verwendet werden können. Oftmals sind es Kombinationen aus mehreren Spurengasen in einer deutlich erhöhten oder deutlich erniedrigten Konzentration, die charakteristisch für eine bestimme Krankheit sind. Man spricht hier auch von einem VOC-Fingerprint oder einem Muster an VOCs«, erläutert Dr. Jessy Schönfelder, Wissenschaftlerin am Fraunhofer MEOS. Am Projektzentrum in Erfurt arbeiten die Fraunhofer-Institute für Zelltherapie und Immunologie IZI, für Photonische Mikrosysteme IPMS und für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF interdisziplinär zusammen.
Solche Marker-Kombinationen gibt es für sehr viel mehr Krankheiten als bisher bekannt. Sie müssen Stück für Stück entschlüsselt werden. Darin bestehe auch die Herausforderung für die Chemikerin und ihr Team. Sie entwickeln ein spezielles Ionenmobilitätspektrometer (IMS), um solche Muster an VOCs zu erkennen. Keine leichte Aufgabe, bedenkt man, dass jeder Mensch etwa 200 VOCs in der Atemluft hat. Im Mittelpunkt der Forschung stehen Krebsleiden, insbesondere Lungenkrebs.
Ziel des Forscherteams am Fraunhofer MEOS ist es, mit der neuen Technologie eine große Bandbreite an Biomarkern zu detektieren. Künftig wollen die Forscher das Messsystem auch zum Unterscheiden von COVID-19 und anderen Atemwegsinfektionen nutzen. Es kommt auch im Fraunhofer Clusterprojekt M3Infekt zum Einsatz, das die Entwicklung eines modularen, multimodalen und mobilen Monitoringsystems zum schnellen Eingreifen bei plötzlichen Zustandsverschlechterungen von COVID-19 Patienten zum Inhalt hat. Des weiteren soll die Atemanalytik künftig erste Hinweise auf neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer liefern – und zwar früher und angenehmer als bisherige Methoden wie die Blutabnahme – schließlich muss der Patient nur in ein Röhrchen pusten.
»Das Potenzial der Atemluftsensorik ist groß. Die nicht invasive IMS-Technologie ist sensitiv und selektiv, schnell, kostengünstig und zudem klein und mobil, sodass sie problemlos in Arztpraxen und Krankenhäusern eingesetzt werden kann. Das fertige System wird die Größe eines Schuhkartons haben«, sagt Schönfelder.
FAIMS-Chip mit alternierender Spannung
Herzstück des neuartigen Ionenmobilitätsspektrometers ist ein miniaturisierter FAIMS-Chip (High Field Asymmetric Ion Mobility Spectrometry). Das MEMS-Bauelement umfasst einen Ionenfilter und einen Detektor. Eine UV-Lampe komplettiert das Gerät. Zunächst werden die VOCs in einem Trägergasstrom in das Spektrometer gepumpt, wo sie im nächsten Schritt mit Hilfe des UV-Lichts ionisiert werden. Das heißt, sie werden zu geladenen Molekülen. »Diese leiten wir an den FAIMS-Chip weiter, der am Fraunhofer IPMS entwickelt wurde. Anschließend legen wir an die Filterelektroden eine alternierende Spannung an. Durch das Einstellen der Spannung am Filter kann man auswählen, welche VOCs zum Detektor gelangen. Auf diese Weise erhalten wir unser VOC-Fingerprint, anhand dessen wir die Erkrankung erkennen können«, erklärt Schönfelder das Verfahren.
Derzeit arbeitet das Forscherteam an einer optimierten elektronischen Steuerung und einer verbesserten Probenentnahme und Probenführung. Referenzmessungen an Zellkulturen wurden erfolgreich durchgeführt, weitere Untersuchungen mit humanen Proben aus der Klinik sind geplant. Am Fraunhofer IZI konnten in einem abgeschlossenen Projekt bereits sieben verschiedene Bakterienstämme mit einer ähnlichen Technologie unterschieden werden.
Darüber hinaus sollen eigens entwickelte KI-Algorithmen die Auswertung der VOC-Fingerprints erleichtern. »Pro Messung erhalten wir eine halbe Million Messwerte. Diese hohe Datenmenge wollen wir per Machine Learning auswerten«, so die Forscherin. Der Algorithmus wird mit Proben von gesunden Probanden und Krebspatienten trainiert. Das Messergebnis liegt innerhalb weniger Minuten vor. »Wir können uns auch vorstellen, dass unser Ionenmobilitätspektrometer in Zukunft zum Screening von Fluggästen eingesetzt wird, um zu prüfen, ob sie mit dem Coronavirus infiziert sind«, so die Chemikerin.
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